Die Filme, die in diesem Jahr im Wettbewerb um die „Leoparden“ antreten, fordern Geduld und genaues Hinsehen! Das ist gut so – bei dem allgemeinen Gewusel auf der Leinwand, egal ob digital generiert oder nicht. Es müssen auch nicht unbedingt fünf Stunden sein, wie bei FROM WHAT IS BEFORE. Da gibt es zum Beispiel VENTOS DE AGOSTO aus Brasilien von Gabriel Mascaro.
Irgendwo am Ende der Welt begegnen wir Shirley und Jeison, zwei junge, ausgesprochen hübsche junge Leute. Sie versorgt liebevoll die Großmutter, er ist eine Art „Mädchen für Alles“ am Ort: Fischt, erntet Kokosnüsse, die dann von Shirley mit dem Traktor abtransportiert werden.
Manchmal schlafen die Beiden miteinander. Beim Fischen und Tauchen enteckt Jeison nicht nur Octopusse, sondern eine Leiche. Auch sie wird ordentlich versorgt; und als nichts mehr zu tun ist, dem örtlichen Polizeiposten vor die Tür gelegt…
Ganz langsam und voller Bedacht folgt Mascaro seinen Protagonisten, die eins mit der Natur zu sein scheinen. Dabei verschmäht der Regisseur natürlich nicht die optischen Reize eines Lebens am Busen der Natur. Ob er das ganz ernst meint oder Ironie einfließen lässt, ist nicht immer ganz eindeutig. Schön, warum nicht! Ein Film, der Raum lässt! Davon gibt es heuer mehr in Locarno.
Ganz besonders gelungen: „nebel“ von Nicole Vögele. Die Schweizerin studiert noch in Ludwigsburg an der Filmakademie. Sie präsentiert ihren 60minüter nicht nur in einer Sektion des Festivals, sondern sitzt auch in der diesjährigen Jury der Reihe „Pardi di domani“…
„nebel“ gehört ebenfalls zu den Filmen, die sich Zeit lassen. Da zieht der Nebel auf – von der Natur bis zur Kunst auf dem Rummelplatz. Dazu wird nicht Hesse, sondern Rilke zitiert. Das berührt und gibt Raum. Ein großes Talent stellt sich vor.
Das Zweitfilme schwierig sind, vor allem wenn Opus Eins sehr erfolgreich gewesen ist, gehört zu den bitteren Erfahrungen im Filmalltag. Eine Erfahrung, die Jasmila Zbanic nicht erspart bleibt. Ihr Debut „Esmas Geheimnis“ wurde hoch gelobt. Heute hat ihr neuer Film „Love Island“ gar auf der großen Leinwand der Piazza Grande Premiere. Ob ihr damit ein Gefallen getan wird, darf bezweifelt werden.
Liliane – hochschwanger – und Gatte machen – all inclusiv – Urlaub in Kroatien. Dabei begegnet Liliane ihrer Exgeliebten, jawohl -en! Da bekommt die lesbische Neigung neues Feuer, was ihm nicht lieb sein kann. Wobei auch er später eine schwule Seite in sich entdeckt.
Das Ganze schwangt dramatisch zwischen Melo und Komödie mit viel Gesang und einer finalen Geburt in der Disco sowie neckischen Einschüben: „Bis du pädophil?“, fragt ein kleiner Naseweis und deutet auch die knappe Badehose des Herrn… Huch, wie lustig!
Bei „Love Island“ wäre es von Vorteil gewesen, wenn die Regisseurin und ihre betreuenden Redakteure bei ZDF und Arte sich Zeit gelassen hätten. Um sich darüber klar zu werden, wohin die filmische Reise gehen soll. So wurde daraus – holterdipolter – ein schwer erträglicher Mischmasch! Aber sowas muss es wohl auch in einem Festivalprogramm geben. Für Frau Zbanic tut es mir leid! Sie kann mehr!