Ob „Talent Campus“ bei der Berlinale oder „Pardi di domani“ bei den Filmfestspielen von Locarno. Keines der Filmfestivals kann mehr darauf verzichten, auch dem filmenden Nachwuchs eine Forum an-zubieten. Dass es sich lohnt, macht dieser Tage gerade „Pardo di domani“ deutlichen. Dabei werden nicht erste Arbeiten zur öffent-lichen Diskussion gestellt, sondern der internationale Austausch und Fortbildungsmöglichkeiten mit renommierten Regisseuren – zum Beispiel Agnes Varda oder Alexandr Sokurov angeboten.
Die Begeisterung steckt an! Eine junge Generation findet und erfindet das Kino nicht unbedingt neu, aber entdeckt für sich neue Aspekte des Kinematografie: frisch und ganz und gar unverkrampft wird da erst einmal die eigene Welt mit der Kamera entdeckt.
Souverän gehen die jungen Filmemacher inzwischen mit dem Zusammenspiel von Dokumentar-und Spielfilmelementen um. Gerade in der kurzen Form. Ein besonders gelungenes Beispiel aus dem Kurzfilmprogramm „Pardi di domani“ von Locarno ist „Cai putere/Pferdestärke“ von Daniel Sandu aus Rumänien. Da geht es um einen jungen Mann, der jeden Herbst sein Motorrad in seiner Wohnung überwintert. Die liegt leider im 10. Stock und deshalb müssen seine Freunde mit anpacken, um das Bike über die Treppen hoch zu wuchten und natürlich im Frühjahr wieder runter. Seit Jahren ein festes Ritual im Kalender. Doch eines Tages geht die Freundschaft in die Brüche! Was tun:
„Da müssen sie sich dann überlegen, wie es weitergehen soll. Die Frage der Trennung, den Umgang mit Veränderung, die Suche nach einem eigenen Standort in der Gesellschaft, aber auch in der Familie steht in fast allen Filmen der jungen Regisseure im Mittelpunkt. Spannend zu sehen, wie sie eigene Erfahrungen filmisch umsetzen…“
Eine Beobachtung von Mark Peterson – für die Filmauswahl in Locarno zuständig. Das betrifft nicht nur den Kurzfilm! Zwei Nachwuchsregisseurinnen – eine aus der Türkei und aus Uruguay – beschreiben mit sich selbst meist immer im Bild- ihren mentalen Abschied von den Eltern. In „Mon pére, la revolution et moi“ demontiert Ufuk Emiroglu ihren Vater, der viel Politik, aber wenig für die Familie gemacht hat. Fast ein Gegenstück dazu hat Arami Ullón mit „El tiempo nublado“ gedreht:
Mama kann sich nicht mehr selbst versorgen. Die Tochter reist aus der Schweiz an, um den Umzug in ein Altersheim zu organisieren. Sehr sensibel gelingt Arami Ullón die Abrechnung mit der Mutter, deren angebliche Epilepsie ihre Kindheit überschattet hat, in Verbindung mit einem gemeinsamen Stück Trauerarbeit…
Mit Alexandr Sokurov ist diesmal einer der ganz Großen des gegenwärtigen Weltkinos in Locarno zu Gast: er gibt für den Nachwuchs eine Master-Clas, in der junge Filmemacher auf ihren ersten Lang-Spielfilm vorbereitet werden. Sokurov über seine Philosophie der Nachwuchsförderung:
„Natürlich möchte ich, dass diese jungen Leute gute Filme machen. Genauso wichtig ist dabei der moralische Faktor: das Kino ist eine moralische Anstalt, sein ethischer Anspruch nicht hoch genug anzusetzen. Sehen Sie sich die Welt doch an. Da hat der Filmemacher eine enorme ethische Verantwortung!“
…und genau diese ethische Verantwortung macht die Qualität der Filme dieser neuen Filmemachergenration aus, die in Locarno erste Beispiele ihres Könnens und ihrer moralischen Integrität vorgestellt haben. Eine tolle Generation! Ganz nebenbei: nicht nur beim Film…