Ein filmisches Wunderwerk zum Abschluss des „65.festival del film Locarno“: nach dem preisend mit viel schönen Reden am Samstagabend die „Leoparden“ und anderen Preise verteilt worden waren, erlebten die Besucher der „Piazza Grande“ in einer lauen Sommernacht die Uraufführung von „More than Honey“. Ein Dokumentarfilm von Markus Imhoof, mit dessen Namen sich bisher Klassiker des modernen Schweizer Spielfilms wie „Die Reise“ (1986) oder „Das Boot ist voll“ (1980) verbunden haben. Jetzt also ein Film von ihm über Bienen. Wer meinte, es handelte sich dabei um eine weitere Dokumentation in der Nachfolge von „Mikrokosmos“ nach dem Motto: „Ei, was krabbelt denn da?“ wurde eines Besseren belehrt bzw. erlebte eine Überraschung.
Einzigartige Markroaufnahmen von Bienen im Fluge sind zwar filmtechnisch sicher sensationell, aber nicht abendfüllend. Imhoof beschränkt sich auch nicht darauf; langweilt auch nicht des Weiteren mit Belehrendem zur Herstellung des gesunden Honigs durch die fleißigen Bienen. Das ist einem aus dem Biologieunterricht noch gut in Erinnerung… Imhoof hat einen cineastisch perfekten und inhaltlich aufrüttelnden Film über eine Haustier-Art gemacht, die bisher mit dem possierlichen Biene Maja-Etikett versehen wurde. Von denen gleichwohl Abstand zu halten ist, der schmerzhaften Stiche wegen. Es wurde erfolgreich verdrängt, dass Bienen wie Hühner, Kühe und Schweine vom Menschen ohne Rücksicht auf Verluste domestiziert wurden, um sie heute möglichst effektiv industriell auszubeuten. Die dutzendfachen Honigsorten im Supermarkt lassen daran keinen Zweifel. Doch nicht allein deswegen sind Bienen wichtig, sondern zur Obstproduktion in fast allen Plantagen dieser Welt. Ohne Bienen geht hier nichts…
Wie ihre Leidensgenossen in den Mastanlagen und Legebatterien können auch Bienen längst nicht mehr ohne Antibiotika und zusätzliche Vitamine auskommen: Imhoof zeigt das nachdrücklich am Beispiel einer Mandelplantage in Kalifornien. Wenn hier die Bäume ausgeblüht haben, werden die Bienenvölker von den Mitarbeitern einer Großimkerei eingesammelt und per LKW quer durch die USA zu einer Apfelblüte, Orangenblüte etc. gekarrt. Den Streß überleben viele Bienen nicht und sterben unterwegs. Die Überlebenden werden dann noch einmal beim Aufbringen der Pestizide in den Plantagen in Mitleidenschaft gezogen. Ebenso wie Schweine in einer Großschlächterei schon mal bei lebendigem Leibe zu Wurst verarbeitet werden…
Gleichzeitig gibt „More than Honey“ einen Einblick in die „Seelenlage“ von Bienen. Das macht beklommen: Es sind eben nicht die anonymen Wussler, deren einziger Lebenszweck darin besteht, allein ihre Königin zu verköstigen, um so den Fortbestand des jeweiligen Volkes zu sichern. Jüngste Forschungen haben ergeben, dass es sich bei Bienen um Individualisten handelt, die gerade durch ihre Individualität in einem komplexen Sozialgefüge spezielle Aufgaben erledigen. Man weiß inzwischen sogar, das die einzelne Biene Irritation und Stress erleben kann. Warum also auch nicht Schmerz, Angst und Trauer? Auch wenn sie so klein sein, verfügen sie über ein komplexes Gehirn.
Das alles rührt dieser außergewöhnliche Film an. Ein Meisterwerk des Tierfilms, wie man ihn in dieser Komplexität schon lange nicht mehr gesehen hat! In Deutschland ab 8. November im Kino.