Jean-Pierre Grumbach nannte sich nach seinem Lieblingsschriftsteller Herman Melville – Jean-Pierre Melville. Mit seinem kühl beschreibenden Stil gehört er zu den wichtigsten Anregern des modernen Film – insbesondere des Kriminalfilms. Melville machte aus dem Genre psychologische Kammerspiele über Einsamkeit und den Verlust der Unschuld. Dafür fand er in Alain Delon den idealen Schauspieler. Auf DVD ist jetzt zum ersten Mal „Un Flic/Der Chef“ – Melvilles letzter Film – auf DVD erschienen. Rechtzeitig zur Verleihung eines „Ehren-Leoparden“ an Alain Delon bei den gegenwärtig stattfindenden Filmfestspielen von Locarno.
Alain Delon gibt grundsätzlich keine Interviews mehr und vermeidet Pressekonferenzen. Auch öffentliche Auftritte von ihm sind selten geworden. Aus Sympathie für das Festival del Film Locarno ist der 76jährige persönlich gekommen, um den „Ehrenleoparden“ für sein Lebenswerk abzuholen. Am nächsten Morgen war der als schwierig geltende Star sogar bereit, die Fragen einer Gruppe von Journalisten zu beantworten.
Nach dem wichtigsten Regisseur gefragt, mit dem er im Laufe seiner Karriere zusammen gearbeitet hat, antwortet Alain Delon:
„Melville, er hat mich geformt! Von ihm stammt alles: wie ich spreche, mich kleide, wie ich mich bewege: Alles: Jean-Pierre Melville. Erst nach ihm kommen Clement, Visconti, Antonioni die ebenfalls großen Einfluss auf mich hatten!“
Zwischen 1967 und 1972 hat Alain Delon in drei Filmen Jean-Pierre Melvilles die Hauptrolle gespielt. Davon ist „Le Samourai/Der eiskalte Engel“ der Bekannteste. Diesen Meilenstein der Filmgeschichte gibt es leider seit langem nicht mehr bzw. noch nicht auf DVD. „Le cercle rouge/Vier im roten Kreis“ aus dem Jahr 1970 hat StudioCanal/Arthaus bereits vor einiger Zeit veröffentlich, jetzt wurde mit „Un Flic/ Der Chef“ wieder eine Lücke geschlossen. Melvilles starb kurz nach der Uraufführung des Films im Alter von 55 Jahren.
Jean-Pierre Melville stellte seinem Film ein Zitat voran, das dem legendären französischen Gangster des 18. Jahrunderts, Francois-Eugene Vidoq zugeschrieben wird: „Die einzigen Gefühle, die ein Mensch jemals bei einem Polizisten hervorzurufen vermag, sind Mehrdeutigkeit und Zynismus.“
In „Der Chef“ spielt Alain Delon einen Kommissar, der in der deutschen Fassung vom jungen Christian Brückner synchronisiert wurde. Nächtens ist Kommissar Coleman im einschlägigen Milieu unterwegs, um zu erfahren, was läuft. Einer seiner Gewährsleute ist der Nachtclub-Besitzer Simon. Mit ihm verbindet ihn nicht nur eine Männerfreundschaft, sondern auch eine gemeinsame Freundin – Cathy.
Die Freundschaft zerbricht, als Coleman dahinter kommt, das Simon die führende Rolle bei einem Banküberfall gespielt hat. In der für ihn typischen durchstilisierten Dramaturgie erzählt Melville in „Der Chef“ von der Unerbittlichkeit einer schicksalshaften Verstrickung der Protagonisten. Grandios wird der Kommissar als einsamer Wolf von Alain Delon gespielt.
„Un Flic/Der Chef“ gibt es neuerdings von StudioCanal/Arthaus auf DVD. Im Bonusteil eine Dokumentation, in der sich Mitarbeiter Jean-Pierre Melvilles an die Dreharbeiten erinnern. Preis: 12 Euro.