Heute Abend gehen die diesjährigen Filmfestspiele von Locarno mit der Verleihung des Goldenen und der Silbernen Leoparden zu Ende. Der fünfeinhalbstündige Film „From what is before“ des Philippinischen Ausnahmeregisseurs Lav Diaz galt von Anfang an als Favorit des Festivals. Dem folgte auch die internationale Jury – zu auch der deutsch-türkische Filmemacher Thomas Arslan gehörte – und verleiht ihm Gold. Silber, d.h. den „Spezialpreis der Jury“ wird die amerikanische Independent-Produktion „Listen up Philip“ erhalten.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: der Höhepunkt des diesjährigen „Festival del Film Locarno“ war die Aufführung von „Il Gattopardo/Der Leopard“ von Luchino Visconti aus dem Jahr 1963 in der restaurierten Originalfassung auf der riesigen Leinwand der Piazza Grande! Wenn der strahlende junge Held Tancerdi, Alain Delon, die wunderschöne Claudia Cardinale als Angelica zum Tanz bei der großen Ball-Szene am Schluss auffordert, kann selbst ein heftiger Wolkenbruch über der Piazza den vollkommenen Genuss nicht schmälern. Der Namenspatron der Preise von Locarno wurde im Rahmen der Retrospektive über die italienische Produktionsfirma Titanus gezeigt. Nun könnte man natürlich sagen, es ist unfair ein Meisterwerk der Filmgeschichte mit den Arbeiten der meist jungen Filmemacher zu vergleichen, die sich im internationalen Wettbewerb um die „Leoparden“ beteiligten. Erstaunlicher Weise sind hier aber durchaus Regisseure dabei, die das Potential dazu haben.
Nicht nur weil es in dem Film „From what is before“ von Lav Diaz von den Philippinen bisweilen ausdauernd regnet, war er in Locarno gut aufgehoben, sondern weil er den Vergleich mit Visconti nicht scheuen muss. Ein Ausnahmefilm, der den epischen Atem von fünfeinhalb Stunden braucht, um eine Epoche im Umbruch zu be-schreiben. Das verbindet Regisseur Lav Diaz mit Visconti, der im „Leoparden“ ebenfalls den Einbruch einer neuen Zeit abhandelt. „Veränderung“ ist überhaupt das Stichwort für nahezu alle Filme, die in den letzten zwölf Tagen in Locarno zu sehen waren…
„Listen up Philip“ bzw. seinem Regisseur Alex Ross Perry wird heute Abend der „Spezialpreis der Jury“ überreicht. Auch hier geht’s um Veränderung. Philipp ist Schriftsteller. Im Gegensatz zu den einstigen Großstadt-Neurotikern Woody Allens leidet er nicht Schreibblokaden oder Ähnlichem. Ganz im Gegenteil. Er hat Erfolg als Autor und bei Frauen.
Das ist es, was ihm Angst macht…deshalb muss alles anders werden. Fragt sich nur, was! Das Dilemma des heutigen Intellektuellen… Für seelische Blähungen auf hohem Niveau hat der Klempner Dima Nikitin in Yury Bystrovs Film „Durak“ keine Zeit. Nach einem Rohrbruch in einem Moskauer Mietshaus stellt er fest, dass nicht nur die Installation defekt, sondern der ganze Bau vom Einsturz bedroht ist. Er alarmiert die Bürgermeisterin, die gerade ihren 50. Geburtstag feiert…
Sie scheint betroffen und ordnet die Evakuierung des Hauses an. Aber dafür fehlt das Geld. Der Städtebau-Etat ist in dunklen Kanälen versickert. Die verantwortlichen Mitwisser in der Verwaltung werden diskret beseitigt, Dimitri, der Warner in der Wüste, von der Hausgemeinschaft erschlagen, denn die genauso verrottet ist, wie die Bausubstanz. „Durak“ heißt zu Deutsch: „Idiot“. Der bitterbösen Parabel auf die russischen Verhältnisse unter Putin hätte man gerne unter den Hauptpreisträgern gesehen.
Aber der „Leopard“ für den besten Hauptdarsteller sei Artem Bystrov für seine Darstellung des Dima Nikitin gegönnt. „Locarno 2014“ ein Festival der starken Filme, wie man sie in diesem Jahr bisher in Berlin und Cannes vermisst hat. Bleibt zu hoffen, dass der eine oder andere auch den Weg auf deutsche Leinwände findet!