Jüdischer Humor im Film ist selten geworden – vor allem in Europa. Einer der wenigen Filmemacher, dem das überzeugend gelingt ist der in München geborene und seit Längerem in Belgien lebende und arbeitende Sam Garbarski. Bekannt geworden mit der autobiographischen Familiengeschichte „Der Tango der Rashevski“ hat er 2007 mit dem in Berlin ausgezeichneten „Irina Palm“ Furore gemacht. Heute Abend findet im Rahmen der Filmfestspiele von Locarno die Uraufführung von „Vijay und ich“ statt, den Garbarski mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle in den USA realisierte.
Will Wilder hat die Nase voll! Als Wilhelm Wilder ist er vor Jahren mit der erklärten Absicht aus Berlin nach Amerika gekommen, um als Schauspieler Karriere zu machen. Leider hat es nur zur Rolle des „Pechkaninchens“ in einer Kinderserie gereicht. Der Frust sitzt tief. Heute besonders: es ist Freitag der 13. und Wills 40. Geburtstag, den anscheinend alle Welt vergessen hat. Doch damit nicht genug – ihm wird auch noch das Auto geklaut. Als Häuflein Elend sucht Will bei seinem indischen Freund Rado Unterschlupf. Er hat keine Lust nach zu Hause zu gehen – zur dominanten Gattin Julia und der impertinenten pubertierenden Tochter. Da melden die Nachrichten: „Will Wilder ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen“.
Ein Wink des Schicksals. Niemand weiß, dass es der Autodieb war, der bei dem Unfall bis zur Unkenntlichkeit verbrannt ist. Will nutzt die Gunst der Stunde, als vermeintlich Toter ein neues Leben anzufangen. Mit Rados Unterstützung verwandelt er sich in den serösen indischen Banker Vijay.
Als Vijay Sing eröffnen sich für Will völlig neue Perspektiven. Zum Beispiel die seltene Möglichkeit, die eigene Beerdigung zu besuchen. Julia will er sich als lange verschollener Studienfreund des Verblichenen vorstellen. An der Rolle muss allerdings noch etwas gefeilt werden. Doch dann ist Julia vom Sexappeal des smarten Inders hin und weg. Der frustrierte Will hatte nämlich auch als Liebhaber viele Wünsche offen gelassen. Vijay scheint in dieser Beziehung äußerst phantasievoll zu sein…
Für den Helden von „Vijay und ich“ hat Regisseur Sam Garbarski mit Will Wilder einen Namen gewählt, der an Billy Wilder erinnert. Der ganze Film ist eine Referenz an den großen Kollegen, der mit seinen eleganten Zweideutigkeiten – erinnert sei an „Manche mögens heiß“ oder „Irma la Douce“ – Filmgeschichte gemacht hat. Mit leichter Hand gelang Sam Garbarski mit „Vijay und ich“ eine höchst amüsante Travestie-Komödie, bei der jede Nuance stimmt, ebenso wie das leicht zynische Spiel mit den Grenzen des guten Geschmacks. Ein großer Auftritt für Moritz Bleibtreu, der mit sichtlicher Lust der Verwandlung von Will zu Vijay Profil gibt. Mit Sicherheit wird „Vijay und ich“ der herbstliche Hit in den Arthouse-Kinos werden – ab Anfang September ist er in Deutschland zu sehen.
Weniger entspannt geht es im Gegensatz zum vorwiegendheiter gestimmten „Piazza Programm“ im internationalen Wettbewerb um den „Goldenen“ und die „Silbernen Leoparden“ zu, die zum Schluss des Festivals am 17. August verliehen werden.
Da dominierten in den ersten zwei Tagen Krankengeschichten. In „El Mudo“ aus Peru ist ein Richter mit nicht ganz weißer Weste nach einem Attentat verstummt. Eine stilisierte Parabel auf die Ratlosigkeit in der Welt. Fast drei Stunden nimmt sich der portugiesische Regisseur Joaquim Pinto Zeit, um uns an seiner Hepatitis C-Erkrankung teilnehmen zu lassen: „What Now? Remind me“ ist der Titel seiner Langzeit-Dokumentation. Bei seiner gestrigen Pressekon-ferenz war Pinto wieder wohlauf. Gott sei Dank! Um die Affinität zwischen Filmemachen und Gastritis geht es in „When evening falls on Bucharest or Metabolism“ aus Rumänien. Dazu passt natürlich bestens die Verfilmung von Charlotte Roches „Sumpfgebiete“ durch David Wnendt, die am Samstag auf dem Programm steht…