Zur Tradition von Locarno gehört, das am Vorabend vor dem offiziellen Beginn ein Klassiker auf der großen Leinwand der Piazza Grande gezeigt wird, der im Zusammenhang mit dem jeweiligen Festivaljahrgang steht. Gestern Abend war das Truffauts „Les quatre cents coups/Sie küßten und sie schlugen ihn“. Im Hinblick auf Jean-Pierre Léaud, dem heute Abend ein „Pardo alla carriera“ überreicht wird.
Er begrüßte auch gestern Abend die Gäste der bis auf den letzten Platz besetzten Piazza. Nein, das war nicht mehr Truffauts alter ego Antoine Doinel, sondern ein hinfälliger alter Mann. Eine tragische Persönlichkeit, die seitlebens ihrem Entdecker und Übervater nachtrauerte, ohne ein eigenes Profil zu entwickeln. Den Auftritt hätte man ihm und uns ersparen sollen. Die heutige „Preisverleihung“ wird das Ganze an Peinlichkeit wohl noch toppen…
Aber jetzt zum erfreulicheren Teil des Abends, zu „Les quatre cents coups“! Eigentlich unfair, diesen Film zum Auftakt eines Festival zu zeigen. Da kommt keiner mit! Phantastisch, makellos, wunderbar – auch noch nach 50 Jahren! Da können die seit dem gedrehten Coming-of-age-Filme samt und sonders einpacken!
Bevor irgendwer meint, er müsse die Welt mit Filmen beglücken, sollte er gezwungen werden, Truffauts Debut von 1959 zu verinnerlichen und erst einmal eine Weile zwecks innerer Sammlung ins Kloster gehen. Dann würde viel Geld und der Menschheit viel Kinoleiden erspart…
Aber vielleicht straft uns ja das diesjährige Festival del Film lügen und verwöhnt uns mit einer Sternstunde nach der anderen…
Heute Abend gehts auf der Piazza mit Luc Bessons „Lucy“ los. Vielleicht trügt ja der dämliche Trailer und es ist ein guter Film…