Soviel und so ausdauernd wie in der ersten Woche hat es bei einem „Festival del Film Locarno“ schon lange nicht mehr geregnet. Also richtiges Kinowetter. Open Air freilich eine feuchte Angelegenheit. Aber die Festivalshops halten preisweite gelbe Regenponchos bereit und die Security hilft mit Haushaltstücher zum Trockenwischen der Stühle auf der Piazza Grande weiter. Ein Actionfilm im Regen betrachtet, hat einen ganz eigenen Reiz. Da zeigt sich, dass das neue Programmierungs-Konzept von Olivier Pére Wirkung zeigt: Mainstream auf der Piazza, Arthaus indoor im Kino.Das Jonglieren mit der Kunst auf der großen Leinwand für Besucher, die im Urlaub vor allem gut unterhalten sein möchten, hat in der Ver-gangenheit häufig zu leeren Rängen und einem Massenexodus bereits nach wenigen Minuten geführt. Mit „Super 8″ etc. herrschte dieses Jahr bisher volle Zufriedenheit und selbst Kaurismäkis berührender „Le Havre“ dürfte auch bei einem großen Publikum ankommen…
Spannende Entdeckungen bisher im „Concorso Internationale“. Große Enttäuschungen gab es dabei nicht – selbst wenn zum Beispiel Mia Hansen-Love nach ihrem „Der Vater meiner Kinder“ mit ihrer sülzigen „Un amour de jeunesse“ enttäuschte. Ebenso wie das deutsche Talent Sebastian Urzendowsky, in seiner ersten Hauptrolle in einer französischen Produktion.
Spannendes aus den USA mit „Another Earth“ (Mike Cahill) und vor allem „Terri“ (Azazal Jacobs); aber auch aus Rumänien. Aus Israel eine beklemmende gesellschaftspolitische Innenansicht zwischen betont brachial auftretender Staatsmacht und Anarchie: „Hashoter/Polizisten“ heißt der Film von Nadev Lapid, der ebenfalls im Wettbewerb um den Goldenen und die Silbernen Leoparden antritt.
Eindrucksvoll der Schweizer Beitrag „Vol Spécial/Sonderflug“: Fernand Mélgar dokumentiert den Alltag in einem Lager für abgelehnte Asylbewerber, die auf ihre Abschiebung in ihre Heimat-länder warten. Ein bedrückender Beitrag zur menschlichen Seite einer restriktiven Ausländerpolitik – die in der Schweiz nicht viel anders als zum Beispiel in Deutschland praktiziert wird.
Locarno 2011 vermittelte also fürs Erste einen sehr genauen Einblick in die Gefühlswelten und ihren gesellschaftlichen Ausdruck in unserer Zeit. Mehr kann ein Festival und der Film als Solcher nicht leisten!