Da gibt es diesmal keinen Grund zur Klage – unisono bei allen „Bären“-Gewinnern der diesjährigen Berlinale. Die Jury bewies Augenmaß. Kein Wunder, selten bestand das Gremium so homogen aus gescheiten Leuten – vom in vielen Bereichen des Films versierten James Schamus, über die nicht weniger vielseitige iranische Künstlerin Mitra Farahani und ihre amerikanische Kollegin Greta Gerwig, bis zu Michel Gondry und Christoph Waltz. Mit „Black Coal, thin Ice“ von Diao Yinan haben sie den „Goldenen Bären“ einem Film zuerkannt, der zu den spannendsten Überraschungen dieser Berlinale gehört. Einem Festival, das reich an Überraschungen gewesen ist!
Der junge Chinesische Regisseur Yinan benutzt das Genre des Polizei-Thrillers für eine Bestandsaufnahme nicht nur der Gegenwart in China. Ein an Leib und Seele beschädigter Ex-Polizist stellt fest, dass es so nicht weitergehen kann. Mord und Totschlag, der Übermut der Ämter sind längst außer Kontrolle geraten. Der Blick auf die Wirklichkeit und der originelle Einsatz der formalen Mittel, lassen einen bei diesem Film lange nicht los.
Die 64. Berliner Filmfestspiele waren auch ein Stelldichein der nach wie vor ungebrochen rüstigen Senioren. Im Wettbewerb präsentierten Alain Resnais (92) und Joji Yamada (83) wunderbar alterskluge Meisterwerke. Bei Yamadas bitter melancholischer Geschichtsstunde würdigte die Jury die Leistung seiner präzise agierenden Hauptdarstellerin Takako Matsu mit einem „Silbernen Bären“. Resnais würdigte sie mit dem Afred-Bauer-Preis für Innovation.
Das ist eigentlich ein Preis für den Nachwuchs und so war die erste Reaktion eine gewisse Irritation. Doch dann kam die Erkenntnis: auch mit über 90 gilt es noch, nach neuen Ufern zu suchen. Und so kann man in dieser Beziehung aus Resnais vertracktem Beziehungsreigen „Aimer, Boire et Chanter“ viel lernen.
Den „Silbernen Bären“ als „Bester Hauptdarsteller“ darf Liao Fan mit nach Hause nehmen. Er spielt die Hauptrolle in „Black Coal, thin ice“ und dürfte am Beginn einer Weltkariere stehen: Ein Schauspieler von derart bezwingender Ausstrahlung ist dafür prädestiniert.
Ganz besonders freut natürlich der „Bär“ für das beste Drehbuch an die Geschwister Brüggemann und ihren aufregenden „Kreuzweg“. Damit kommt der SWR als Koproduzent auch zu etwas Berlinale-Glanz und der „Producer on the move“ Jochen Laube (UFA Ludwigsburg) hat damit ein weiteres Stück für seine Meriten-Sammlung. Auf „Kreuzweg“ wird bei seinem Kinostart (im Stuttgarter Camino-Filmverleih) noch zurück zu kommen sein.
Schon lange nicht mehr haben die „Bären“-Sieger das Besondere einer Berlinale so trefflich umrissen wie in diesem Jahr. Mit erneuten cineastischen Aufbrüchen in China, europäischen Talenten und einem insgesamt erstaunlich solidarisch besorgten Weltkino. Es bleibt spannend!