Berlinale 2012. Die ersten Tage: Quer durch den Gemüsegarten! Die meiste Publizität bekam natürlich der amerikanische Filmstar Angelina Jolie, die sich neben der Schauspielerei, der Versorgung einer großen Kinderschar und dem Engagement in diversen Ehrenämtern jetzt auch noch das Joch der Filmregie aufgebürdet hat: „In Land of blood an honey“ heißt ihr Regiedebut. Nach der „Vorleserin“ brachte der englische Regisseur Stephan Daldry seine Adaption des Foer-Romans „Extremely loud and incredibly close“ mit an die Spree. Horroeskes gab es aus Spanien von Antonio Chavarrias zu sehen.
Die Berliner Boulevard-Zeitungen sind entzückt von Angelina Jolie, die nicht zum ersten Mal in der Stadt weilt. Zumal sie als erste Amtshandlung Guido Westerwelle besuchte, um mit ihm das Elend der Welt zu erörtern. Man ist ja schließlich wer…
Während dessen wurde der internationalen Presse ihr Film vorge-führt. Am Ende herrschte Schweigen, dann kam spärlicher Applaus von ein paar Gutmeinenden auf. „In the land of blood and honey“: allein der Titel droht Schreckliches an.
Was sich dahinter verbirgt, ist danach. Der Film bestätigt die alte Bauernregel: gut gemeint ist meistens das Gegenteil von gut… Vor Ort in und um Sarajewo in serbischer Sprache gedreht, beginnt es damit, dass sich die schöne Ajla und der Polizist Danijel beim Schwofen in einer Disco tief in die Augen schauen. Dann eine Detonation: der Balkankrieg beginnt.
Liebe in Zeiten der Finsternis: Sie ist Muslima, er Serbe, der als Tschetnik Muslime killt. Wie das Ganze weiter geht, kann man sich vorstellen. Wobei Frau Jolie bei aller Wertschätzung ihres humanitären Engagements wohl entgangen ist, das es dazu von serbischer und bosnischer Seite inzwischen reichlich filmische Trauerarbeiten gibt – die nicht mit Laientheater und dramaturgischen Unvermögen antreten. Siehe „Bären“-Gewinner 2006 „Grbavica“ von Jasmila Zbanic!
Jolies Film gerät nicht selten an den äußersten Rand des unfreiwillig Komischen. Bei diesem Thema besonders fatal. Ganz schrecklich das Ende, wenn sich der Serbe in Kreuzigungspose und den Worten: „I’m a war criminal!“ in amerikanische Gefangenschaft begibt. So wird aus der hersten Botschaft Kitsch in Reinkultur. Ab 23. Februar unter dem Originaltitel auch in den deutschen Kinos zu sehen.
Ganz so daneben hat Stephan Daldry seine Version von „Extrem laut und unglaublich nah“ zugerichtet. Aber auch dieser Filme ist keine reine Freude:
Oskar Schell (Thomas Horn) ist ein außergewöhnliches Kind, hochsensibel und äußerst kompliziert. Kein Wunder, dass er die Welt um sich herum als ziemlich rätselhaft und irgendwie angsteinflößend erlebt. Zur Vorsicht hat Oskar immer sein Tamburin dabei, um die bösen Geister zu verjagen; wie sein deutscher Namensvetter Oskar Matzerath die Blechtrommel. Der einzige zu dem Oskar ein enges gefühlsmäßiges Verhältnis hat, ist sein Vater Thomas (Tom Hanks). Der ist auch nicht ganz von dieser Welt: sein Hauptvergnügen besteht zum Beispiel bei der täglichen Zeitungslektüre besteht darin, Druckfehler oder grammatikalische Schlampereien mit dem Rotstift zu markiert. Für Oskar hat er sich ein ganz besonderes Spiel ausgedacht – ein Entdeckungsreisenspiel, bei dem knifflige Fragen und logische Zusammenhänge in Einklang gebracht werden müssen.
Dabei sind sich Vater und Sohn unglaublich nah. Doch dann kommt am 11. September 2001 die Katastrophe. Thomas ist in einem der Türme des World Trade Centers.
Sein Leichnam wird nie gefunden und deshalb ein leerer Sarg beerdigt. Oskar nimmt den Verlust äußerlich gefasst hin – insgeheim bringt er sich aber selbst Hämatome bei und fühlt sich schuldig. Als er in Vaters Nachlass stöbert, findet Oskar einen Schlüssel. In der Hoffnung, es handle sich dabei ein postumes Spiel, macht sich Oskar auf eine Odyssee durch New York. Zwar lernt er dabei eine ganz Menge, letztlich hat der Schlüssel aber nur indirekt mit Oskar und seinem Vater zu tun.
Was sich hier übersichtlich anhört, ist gewissermaßen die Klappentext-Zusammenfassung von Jonathan Safran Foers epochalem Roman „Extrem laut und unglaublich nah“, der in seiner komplexen literarischen Struktur, den unterschiedlichen Perspektiven und verschiedenen Erzählebenen unverfilmbar ist.
Daldry hat aus der Not eine Tugend und die Digest-Version zur Grundlage seines Films gemacht. Streckenweise ist es ihm dabei sogar gelungen, etwas vom Geist des Buches auf die Leinwand zu retten. Etwa Oskars Leiderfahrung und seinen Prozess der Trauerarbeit.
Dafür entdeckte der Regisseur (aus angeblich 31 000 Kandidaten) mit Thomas Horn einen erstaunlichen Kinderdarsteller, der Sandra Bullock und Tom Hanks als Eltern glatt an die Wand spielt. Ein Erlebnis ist auch Max von Sydow als Oskars Großvater, der sich das Sprechen abgewöhnt hat.
Es gibt also durchaus Höhepunkt in dieser Verfilmung von „Extrem laut und unglaublich nah“, die leider gegen Ende, unterstützt von einem aufdringlichen Soundtrack, im Sumpf der Gefühlsduselei versinkt. Ein typisches Beispiel dafür, was passiert, wenn große unkonventionelle Literatur mit den konventionellen Mittel des amerikanischen Unterhaltungskinos verfilmt und dabei vergewaltigt wird…
Ein bißchen gefoppt kommt man sich auch beim spanischen Wett-bewerbsbeitrag „Dictado“ vor: Ein Lehrer hat als Kind mit seinem Bruder ein schlimmes Verbrechen begangen. Sie haben ihre Halbschwester lebendig beerdigt.
Nach dem der Bruder sich per Durchnitt der Pulsadern in der Bade-wanne entleibt hat, nimmt der Lehrer und seine Lebensgefährtin die Tochter des Toten bei sich auf. Das impertinente kleine Mädchen erinnert fatal an das einst umgebrachte Kind.
Der Lehrer entwickelte dem Familienzuwachs gegenüber zunächst nur Antipatien – was nachzuvollziehen wäre, dann aber die Wahnvorstellung, die schlimme Sache von Damals noch einmal zu machen – was schwieriger nachzuvollziehen ist.
Jedenfalls kommt es nicht dazu – und der verdutzte Zuschauer fragt sich, wie sich dieser leidlich spannende Horrorfilm in das Programm eines renommierten Filmfestivals verirren konnte. Aber wir sind ja erst am Anfang der diesjährigen Berliner Filmfestspiele….