Chile 2009
Regie: Sebastian Silva
Mit Catalina Saavedra, Claudia Celedón, Mariana Loyola
Kinostart: 17. Juni 2010
In den letzten 20 Jahren hat sich Raquel als Haushaltshilfe für Familie Valdez unentbehrlich gemacht. Perfekt erledigt sie die in Haus und Hof anfallenden Arbeiten – wenn es sein muss, rund um die Uhr. Zu ihren Arbeitgebern hält Raquel Distanz. Verschlossen und anscheinend ständig verdrossen geht sie ihrer Wege. An ihre notorisch schlechte Laune haben sich die Valdez inzwischen gewöhnt. Dass ihre Angestellte neuerdings bei der Arbeit zusammen bricht, bereitet der Dame des Hauses, Pilar Valdez, allerdings große Sorge. Trotz Raquels energischer Gegenwehr besteht sie darauf, zur Entlastung eine weitere Haushaltshilfe einzustellen:
Mercedes, ein Aupair-Mädchen aus Peru, scheint genau die Richtige zu sein, um Raquel zur Hand zur gehen. Die hat aber nichts anderes im Sinn, als die vermeintliche Rivalin so schnell wie möglich aus dem Haus zu ekeln. Mit subtilem Terror gelingt ihr das nach kurzer Zeit. Für die Familie ist der Zank unter den Angestellten ärgerlich. Nicht gewillt, sich unter Druck setzen zu lassen, unternimmt Pilar einen weiteren Versuch und engagiert die robuste Sonja. Aber Raquel gibt nicht auf und verteidigt wieder ihr Territorium. Diesmal kommt es sogar zu Tätlichkeiten zwischen den beiden Frauen – in dessen Verlauf ein wertvolles Schiffsmodell des Hausherrn zu Bruch geht.
Domestiken, die ihre Herrschaften drangsalieren, haben in der Filmgeschichte eine lange Tradition. Der chilenische Filmemacher Sebastian Silva variiert in der ersten Hälfte seines Films „La Nana“ die bekannten Muster, von der kratzbürstigen „Haushaltsperle“, von der angenommen werden darf, dass sie im Inneren ihres Wesens einen goldenen Kern hat. Aus der bissigen Komödie über rivalisierende Frauen wird dann aber im weiteren Verlauf des Films die Tragödie einer reduzierten Persönlichkeit: Raquel hat in ihrem langen Dienstboten dasein verlernt, wo ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche liegen. Obwohl aufgeklärt und liberal, haben ihre Arbeitgeber die Aufopferung gerne angenommen. Was Raquel in ihrem Leben blieb, ist ihr Refugium und die täglich aufs Neue zu beweisende hauswirtschaftliche Kompetenz.
Dass das nicht alles im Leben ist, lernt Raquel von Lucy – Haushaltshilfe No. 3. Mit Humor und viel Menschenkenntnis lässt Lucy Raquels Machtproben ins Leere laufen. Mit Hilfe der sympathischen jungen Frau wird Raquel schließlich lernen, neu und wirklich zu leben.
Regisseur Silva arbeitete bei seiner Beschreibung eines Menschen, der sich frustriert in ein seelisches „Schneckenhaus“ zurück gezogen hat, mit feinen Zwischentönen in Form und Inhalt. Ohne die Probleme schön zu reden, zeigt er aber auch, wie einer komplizierten, zutiefst verletzten Persönlichkeit zu helfen ist. Am Ende läuft sich Raquel im wahrsten Sinne des Wortes frei: „La Nana“ gehört zu den wundersamen neuen lateinamerikanischen Filmen, denen es gelingt, Schwieriges auf einen verblüffend einfachen Nenner zu bringen: gelebte Toleranz.
SWR2 Journal am Abend, 16.6.2010
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