Krzysztof Kieslowski (1941-1996) ist einer der wichtigsten Filmemacher der Moderne. Als einem der wenigen polnischen Regisseure seiner Generation gelang ihm eine internationale Karriere. Mit seiner Verfilmung der Zehn Gebote („Dekalog“,1989) und den daraus erweiterten Fassungen „Ein kurzer Film über das Töten“ und „Ein kurzer Film über die Liebe“ gab er dem filmischen Nachfragen über existentielle Grundfaragen eine neue Dimension. Das führte Kieslowski 1993/93 mit seiner „Drei Farben-Trilogie“ weiter. Kennern war der Regisseur bereits mit seinen frühen Filmen aufgefallen – u.a. im Programm des „Internationalen Forums des jungen Films“ der Berlinale. Dieser Tage wäre der geniale Ausnahme-Regisseur 70 geworden. Bereits vor einiger Zeit hat Absolut Medien Kieslowskis frühe Filme in besonders schönen Editionen auf DVD veröffentlicht.
„Die Narbe“war 1976 der erste Kinofilm Krzysztof Kieslowskis, über den er später sagte: es sei „ein schlechter Film. Sozialistischer Realismus à rebours.“ Wer „Die Narbe“ jetzt auf DVD betrachtet, wird feststellen, das Kieslowski seinem Frühwerk Unrecht getan hat. Zwar ist die Geschichte und die Entwicklung der Charaktere schlichter als in seinen späteren, hochartifiziellen Filmen und dem Zeitgeist der 1970er Jahre verpflichtet, aber bereits hier zeigt sich der unverwechselbare Stil des Regisseurs….
Absolut Medien hat „Die Narbe“ als deutsche Premiere in der untertitelten polnischen Originalfassung veröffentlicht. Mit einem ausführlichen Booklet als Beigabe. Der Film schildert eine Welt, in der es nie ganz hell wird, im Umbruch: ein neues Industrieprojekt soll einem entlegenen kleine Dorf die Zukunft bringen.
Dabei steht im Mittelpunkt der Manager des Unternehmens, der angehalten ist, möglichst effektiv die Pläne zu verwirklichen. Kiéslowski schreibt im Booklet zur DVD über ihn – etwas versöhnlicher:
„Die Narbe“ zeigt einen Mann, der nicht nur gewinnt, sondern der durch die Situation verbittert ist, in der er sich befindet. Er hat das Gefühl, dass er etwas Gutes und etwas außerordentlich Schlechtes zugleich tut. Und er kann nicht erkennen oder abwägen, was über-wiegt – das Schlechte, das er getan hat, oder das Gute. Tatsächlich muss er sich wohl eingestehen, dass er den Menschen mehr Schaden zufügt, als dass er ihnen geholfen hat.“
Da zeigt sich bereits der Skeptiker Kieslowski, der dem Frieden nie traut und die Ahnung kommenden Schreckens formuliert. In „Die Narbe“ ist es die Art und Weise, wie er die Rodung eines Waldstücks durch eine radikale Montage zum Geräusch der Motorsägen zu einer Orgie der Zerstörung werden lässt.
Neben „Die Narbe“ enthält die 2-Disc-Edition von Absolut Medien – ebenfalls als deutsche Premiere – mit „Ohne Ende“ einen weiteren unbekannteren Film Krzyszstof Kieslowskis. Eine Entdeckung aus dem Jahr 1985.
Mit dem Automatismus jahrelanger Routine überbrüht Ursula Zyro am Morgen zwei Gläser Kaffee für sich und ihren Mann Antek. Wir wissen, dass er kürzlich an einem Herzinfarkt gestorben ist. Gerade als er seine beiden Kinder in die Schule fahren wollte
Antek schildert seinen Tod. Es war nicht schlimm, eher beruhigend: ein ganz und gar typischer Moment für Kieslowski. Hier zeigt sich das Genie dieses Regisseurs, etwas filmisch darzustellen, was es eigentlich nicht geben kann. Das Gefühl zwischen Sein und Zeit, dem Realen und der Imagination. Auch zu „Ohne Ende“ lässt sich im Booklet zur DVD nachlesen, wie der Regisseur diesen Film konzipiert hat. Ein Auszug aus dem umfangreichen Interview-Band „Kieslowski on Kieslowski“:
„Am Anfang stand die Idee für einen Film, der im Gericht spielen sollte. Ein Film über einen Anwalt, der tot ist, und über seine Frau, die er zurücklässt und die erkennt, dass sie ihn mehr geliebt hat, als sie zu seinen Lebzeiten dachte. Der Film ist ziemlich verworren, bestimmt, denn das sind drei Filme in einem. Und das kann man sehen – die Naht ist nicht sehr zart. Der Film verschmilzt das alles nicht zu einer Einheit. Ein Teil handelt von einem jungen Arbeiter. Ein weiterer Teil dreht sich um das Leben der Witwe.
Und dann gibt es den überaus metaphysischen Teil: Der Mann, der Mann, der nicht mehr da ist, sendet Zeichen an die Welt, die er hinter sich gelassen hat.“
„Ohne Ende“ ist einer der tröstlichsten Filme Kieslowskis. Obwohl es gibt kein wirkliches Ende gibt, keine abschließenden Urteile. Alles befindet sich im Fluss. Einer der ersten Filme der jüngsten Gegenwart, der auch von Achtsamkeit handelt und den be-unruhigenden Folgen, wenn man die Achtsamkeit außer Acht lässt…
Einer der Schlüsselfilme im Oevre Krzysztof Kieslowskis ist „Der Zufall möglicherweise“ von 1981. Erst sechs Jahre nach seiner Fertigstellung wurde er von der Zensur frei gegeben. In Deutschland war er bisher nur Fernsehen bzw. im Rahmen von Retrospektiven zu sehen. Seit einiger Zeit gibt es „Der Zufall möglicherweise“ ebenfalls von Absolut Medien auf DVD.
Gehetzt auf den letzten Moment kommt ein junger Mann auf den Bahnhof. Er muss anscheinend den Zug nach Warschau unbedingt erreichen. In der ersten Episode gelingt ihm das im letzten Moment, in der zweiten verpasst er ihn, mit fatalen Folgen. In der dritten scheint sich alles zum Guten zu wenden:
Vielleicht ist alles noch einmal gut gegangen. Es hängt vom Zufall ab: manchmal ist der Zug eben abgefahren und es sollte so sein, ein andermal wird der Zug erreicht und es wäre besser gewesen, man hätte ihn versäumt. Jedenfalls – so oder so: was kommt wird kommen. Die Grenze zwischen Gut und Böse, Glück und Unglück ist dünn. Nur eines ist sicher: der Tod.
Auch zu dieser DVD-Edition gibt es ein umfangreiches Booklet, in dem Kieslowski die Schwierigkeiten schildert, unter denen „Der Zufall möglicherweise“ entstanden ist:
„Wir wissen niemals wirklich, wie unser Schicksal verläuft. Wir wissen nicht, was der Zufall für uns bereit hält. Schicksal im Sinne eines Ortes, einer sozialen Gruppe, einer professionellen Karriere: oder im Sinne der Arbeit, die wir tun. Im Reich der Gefühle haben wir viel mehr Freiheit. In der sozialen Sphäre werden wir weitgehend von der Wahrscheinlichkeit dirigiert.“
Der Arbeiter Filip ist nah am Wasser gebaut: jetzt ist er Vater einer Tochter geworden. Das überwältigt ihn. Zwei Monatsgehälter hat er in eine 8mm-Kamera ausgegeben, um damit die Entwicklung seines Kindes festzuhalten.
So die verräterisch harmlose Exposition von „Der Filmamateur“, den Krzysztof Kieslowski 1979 gedreht hat. Dieser Film hat ihn zum ersten Mal über Polen hinaus bekannt gemacht. Er lief im Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele. Zusammen mit „Der Zufall möglicherweise“ bildet „Der Filmamateur“ eine 2-Disc DVD-Edition. Kommentar Kieslowski zu „Der Filmamateur“:
„Die Hauptfigur zeichnet sich durch eine Faszination für den Film aus, die er plötzlich entdeckt, als er mit einer 8mm-Kamera ein home movie dreht. Sie ist furchtbar amateurhaft, diese Faszination.“
Und sie hat für den armen Filip dramatische Folgen: die Wirklichkeit und die des Films, bringen sein Leben völlig durcheinander. Kieslowski drehte mit diesem Film seine Reflektion über das Wesen des Mediums. Auch hier verschwimmen leicht die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge, Erhofftem und Tatsächlichem…
Schließlich: „Die zwei Leben der Veronika“ von 1991. Kieslowski wird zu diesem Zeitpunkt als einer der wichtigsten Filmemacher der Gegenwart gefeiert; die Französisch-Polnische Koproduktion mit einem Dutzend Preisen ausgezeichnet. Eines der Hauptwerke des Regisseurs – ebenfalls in einer vorzüglichen DVD-Edition von Absolut Medien zu haben.
Die begnadete französische Sängerin Veronique bricht während eines Konzerts tot zusammen. Das Herz. Ebenfalls Probleme mit dem Herzen hat die Polin Veronika. Die beiden Frauen verbindet auch an-sonsten viel. Sie wissen aber nichts voneinander. Mit „Die zwei Leben der Veronika“ gelang Krzystof Kieslowski einer der Meilensteine in der Geschichte des modernen Films. Faszinierend, in seiner Vielschichtigkeit, gelegentlich herausfordernd rätselhaft und vor allem bestechend schön: Fünf DVDs die einladen, sich einmal wieder eingehend mit Krzysztof Kieslowski beschäftigen. Absolut Medien macht es möglich. Auch der „Dekalog“ ist von diesem Label in einer Edition aufgelegt worden, die keine Wünsche offen lässt. Das ziert jede DVD-Bibliothek!