Die Filme der Oscar-Preisträgerin Kathryn Bigelow in DVD-Editionen
„Körpereinsatz“ ist der Titel des Buches, das Welf Kienast und Wolfgang Struck bereits 1999 über „Das Kino der Kathryn Bigelow“ im Marburger Schüren Verlag veröffentlicht haben. Bereits vor elf Jahren brachten sie die Qualitäten der Ausnahmeregisseurin auf den Punkt: „Immer wieder gelingt es Bigelow mit überraschendem Countercasting, logischen Brüchen, widerstrebenden Erzählansätzen und irritierenden Verzögerungen konventionelle Genre-und Erzählmuster gleichzeitig zu bedienen und analysierend aufzubrechen.“ Das trifft auch auf „The Hurt Locker/Tödliches Kommando“ zu, den Film, mit dem Kathryn Bigelow endlich zu Oscar-Ehren gekommen ist, nachdem sie Jahre lang wenig beachtet wurde und kommerziell nicht sehr erfolgreich war.
Bagdad 2004: noch 38 Tage muss eine Gruppe junger amerikanischer Soldaten durchhalten, dann dürfen sie nach Hause. Als Experten für die Entschärfung von Bomben haben sie einen gefährlichen Job zu erledigen. Den Tag wird einer von ihnen, Matt Thompson (Guy Pearce), nicht überleben. Dabei ist eine offensichtlich am Straßenrand liegende Bombe nicht das Problem, sondern ein Mann mit einem Handy, der abseits in einem Laden steht:
Als Ersatz für den toten Matt übernimmt William James (Jeremy Renner) die Verantwortung für das Bombenräumkommando. Ein Draufgänger mit guten Nerven, der das Ganze sportlich sieht und von Teamgeist wenig hält: Aber selbst der coole William kommt an seine Grenzen, als er emotional mit dem schmutzigen Krieg konfrontiert wird. Er muss annehmen, dass ein kleiner Junge, mit dem er sich angefreundet hat, Opfer einer Bombe wurde.
Für einen Moment wird der Krieg zu Williams persönlichem Krieg. Aber er hat sich getäuscht: der Tote ist ein anderer Junge. William übersteht die restlichen Tage und kommt nach Hause in die USA – heim zu Frau und Kind. Aber er kommt mit dem Leben im Frieden nicht mehr zurecht:
Am Ende ist William James wieder in Bagdad… Nüchtern betrachtet Kathryn Bigelow in „The Hurt Locker/Tödliches Kommando“ eine verlorene Generation junger Männer und die irreparablen Beschädigungen an ihren Körpern und Seelen.
Die DVD von Concorde Home Entertainment enthält neben dem Film selbst einen überschaubaren Bonusteil.
Ebenfalls mit dem Krieg – genauer dem Kalten Krieg – hat sich Kathryn Bigelow bei ihrem vorletzten Film „K-19 Showdown in der Tiefe“ aus dem Jahr 2002 beschäftigt, den es auf DVD von Universum gibt: Er beruht auf einem historisch belegten Fall: 1961 sollte ein russischer Kapitän (Harrison Ford) mit seinem Atom-U-Boot einen Angriff auf die USA simulieren. Nur 70 Meilen vor Nordamerika kommt es an Bord zu einem Reaktor-Unfall: Ein Teil der Mannschaft wird zum Teil schwerst radioaktiv kontaminiert.
Obwohl die inzwischen auf den Unfall aufmerksam gewordene USA Hilfe anbietet, muss sie der Kapitän aus Staatsraison ablehnen. Ein weiterer filmischer Diskurs der Regisseurin über die Absurdität des Krieges. Der umfangreiche Bonusteil der DVD gibt unter anderem in einer Dokumentation Aufschluss über den historischen Hintergrund.
Nicht weniger interessant ist Kathryn Bigelows 1995 entstandener Science-Fiction-Film „Strange Days“: der Ex-Polizist Lenny Nero (gespielt von Ralph Fiennes) verdient sein Geld mit dem illegalen Handel von Chips, auf denen die Erfahrungen von Mitmenschen gespeichert sind und die man damit nacherleben kann.
Auch in „Strange Days“ zeigt sich Bigelows enormes Talent, eine aus den Fugen geratene Welt visuell überzeugend darzustellen, ohne den komplizierten Inhalt zu vernachlässigen. Das Drehbuch zu diesem Film hat übrigens ihr damaliger Ehemann, James Cameron, geschrieben. Kinowelt veröffentlichte „Strange Days“ in mehreren Versionen. Empfehlenswert die 2-Disc-Version mit großem Bonusteil.
1991 produzierte Cameron Kathryn Bigelows eigenwilligen Gangster-Surfer-Polizisten-Film „Point Break/Gefährliche Brandung“. Keanu Reeves spielt hier den jungen dynamischen FBI-Agenten Utah, der undercover eine Bankräuberbande dingfest machen soll. Offensichtlich bei guter Kondition überfallen sie im Laufschritt Banken, wobei sie Spaßmasken ehemaliger amerikanischer Präsidenten tragen. Utah findet die sportiven Ganoven in einer Surfer-Clique, an deren Spitze Bodhi (Patrick Swayze) steht. Dummerweise hat sich zwischen Utah und Bodhi eine enge Freundschaft entwickelt. Analytisch erbarmungslos treibt Kathryn Bigelow die homophil unterfütterte Männerfreundschaft zum finalen Showdown. Die Nachwirkungen von „Point Break“ sind über das Surfer-Film-Genre hinaus bis heute sichtbar – zu letzt bei Benjamin Heisenbergs „Der Räuber“.
International bekannt geworden ist Kathryn Bigelow 1990 mit „Blue Steel“. Einer der ersten Filme, in dessen Mittelpunkt eine Polizistin steht. Doch Megan Turner (Jamie Lee Curtis) hat Pech im Dienst. Sie erschießt in Notwehr einen Mann, der im Begriff ist, einem Supermarkt zu überfallen. Dummerweise verliert Megan dabei ihre Waffe, die in die Hände eines Psychopathen gerät. Vom Dienst suspendiert und von Gott und der Welt verlassen, muss Megan auf eigene Faust zusehen, wie sie sich rehabilitiert. „Blue Steel“ ist auch nach 20 Jahren noch ein zutiefst beunruhigender Film: Auf DVD gibt es ihn von Concorde Home Entertainment.
Schließlich gibt es auch Bigelows Frühwerk „Near Dark“ auf DVD – vom Billiglabel MIB sogar als ansprechende 2-Disc-Edition. Diese raffinierte Kombination aus Gangster-, Western- und Horrorfilm genießt inzwischen Kultcharakter. Bereits hier zeigt sich die Vorliebe der Regisseurin für Schattenwelten in der Wirklichkeit.
Kathryn Bigelow ist eine originelle Filmemacherin, die zu entdecken sich lohnt. Abgesehen von ihren beiden ersten Filmen „The Set-up“ (1978) und „The Loveless“ (1982) und „The weight of water“ aus dem Jahr 2000 sind alle Filme der diesjährigen Oscargewinnerin – die in den deutschen Kinos bisher kaum zur Kenntnis genommen wurden – in soliden DVD-Editionen in der Bundesrepublik zu haben. Alle kosten um 10 Euro.