Im Gegensatz zum westlichen Animationsfilm, geht es in den Pendants aus Japan immer um eine bedrohte Welt, die verloren bzw. fast verloren ist. Kennern der Anime-Szene und der ihnen häufig zu Grunde liegenden literarischen Vorlagen, der Mangas, ist das nicht neu. Die jüngste Naturkatastrophe und ihre Folgen lassen die Animes noch mehr als bisher zu düsteren Kassandra-Rufen werden. Kein anderes Genre des Weltkinos hat sich derart präzise mit den Gefährdungen der modernen Zivilisation und die Vermessenheit der Menschen im ihrem Umgang mit der Natur, der Überschätzung der eigenen Möglichkeiten beschäftigt. Viele Animes mahnen zu Achtsamkeit und die Beachtung der Grenzen des Machbaren. Das wird ganz besonders an jüngsten DVD/Blu-Ray-Veröffentlichungen deutlich.
Das Ende des Industrie-Zeitalters: Umweltverschmutzung, Unachtsamkeit gegenüber den Ressourcen der Natur und ein finaler Krieg haben die Erde unbewohnbar gemacht.
Allein riesige Wesen, eine Mutation aus Gürteltier und Kellerassel, haben sich an die unwirtlichen Verhältnisse adaptiert. Sie heißen Ohmus und leben mit den wenigen Menschen, die es noch gibt, in einem fragilen Machtverhältnis.
Der Rest der Menschheit hat sich in ein entlegenes Seitental zurück gezogen. Wasser-und Windkraft ergänzt die Bewirtschaftung der Felder und des Waldes. Trotz der vordergründigen Idylle herrscht aber auch hier Trauer um das Verlorene und Angst vor einer ungewissen Zukunft. Allein die kindliche Prinzessin Nausicaä ist voller Optimismus und vertraut auf Vernunft, Humanität und den Ausgleich der Kräfte – z. B. gegenüber dem Omus. In der altgriechischen Mythologie war Nausikaä eine Königstochter, in die sich Odysseus vorübergehend verliebt.
Wie gefährdet das Tal der Winde ist, zeigt sich, als Truppen aus einem anderen Teil der Welt einbrechen. Mit einer globalen militärischen Operation wollen will eine technokratische Heerführerin die wuchernde Natur vernichten und neue Machtver-hältnisse schaffen.
Bereits 1984 hat Hayao Miyazaki mit „Nausicaä – Im Tal der Winde“ das Szenario einer Endzeitkatastrophe – radioaktiver Fallout inklusive – zu einem stilbildenden Animationsfilm verarbeitet. Untypischer Weise entwickelte Miyazaki aus dem Film anschließend einen monumentalen Manga in drei Teilen, dessen deutsche Übersetzung der Carlson-Verlag im vergangenen Jahr neu aufgelegt hat.
Mit „Nausicaä“ begann auch die Zusammenarbeit zwischen Miyazaki und dem Komponisten Joe Hisaishi, der sich damit ebenfalls einen internationalen Namen machte. Produziert wurde dieser Klassiker des Animes von Isao Takahata, einem weiteren Pionier des Genres – der mit seiner „Heidi“-Adaption der japanischen Spielart des Zeichentrickfilms zu weltweiter Popularität verhalf. Nach dem Erfolg von „Nausicaä“ gründeten Miyazaki und Takahata ihr eigenes Produktionsstudio „Ghibli“, für das sie künftig alle ihre Welterfolge herstellten.
„Nausicaä – Aus dem Tal der Winde“ ist von Universum Anime auf höchstem Niveau auf Blu-Ray veröffentlicht worden. Zur makellosen technischen Qualität kommt eine ausführlicher Bonusteil – unter anderem mit dem kompletten Storyboad – also den Film in einer frühen Phase der Konzeption. Außerdem ein ausführliches Gespräch mit Hideaki Anno über die Anfänge des Studios. Anno gehörte damals zum Mijazakis Team und ist in den letzten Jahren als Schöpfer der „Evangelion“-Serie zu Weltruhm gekommen:
Ein Vergleich zwischen „Nausikaä“ und „Evangelion“ macht die Entwicklung des japanischen Animes der letzten 30 Jahre ein-drucksvoll deutlich. Nicht nur formal – klassischer Zeichentrick hier, moderne CGI-Animation hier – sondern auch inhaltlich:
Bestand für „Nausikaä“ immerhin noch eine vage Hoffnung, das Schlimmste zu verhindern, leben die Menschen in „Evangelion“ unter dem Einfluss einer permanenten Katastrophe: riesige Roboter terrorisieren die Welt. Die Vereinten Nationen haben zur Abwehr die Universalkampfmaschine „Evangelion“ herstellen lassen.
Im selben Alter wie Prinzessin Nausikaä ist der 14jährige Shinji. Nur Kinder können im Inneren eines Evangelion in die Schlacht ziehen, den sein Vater konstruiert hat…. Ein Credo des Genres Anime: die Alten haben alles vermasselt, die Rettung büberlessen sie ihren Kindern. Und es gelingt ihnen – zur Betroffenheit ihrer Väter, die den Erfolg ihrer Nachkommenschaft weniger mit Freude als mit Argusaugen betrachten…
Die Titelfigur der erfolgreichen Serie „Detektiv Conan“ ist ebenfalls ein anscheinend altersloser Halbwüchsiger. Zu seinen Erfindern gehörte vor Jahrzehnten auch Hayao Miyazaki.
In Film Nr. 14 „Das verlorene Schiff im Himmel“ bekommt es der Kinder-Detektiv mit Terroristen zu tun, die einen bakteriologischen Angriff auf Japan planen. Nicht nur das: ein bösartiger, alter Firmenmanager hat zusätzlich seine Finger im Spiel: den hochinteressanten, vor dem aktuellen Hintergrund der Informa-tionspolitik von Tepko beklemmenden Film gibt es von Kazé – wie übrigens alle anderen „Conan“-Film – in einer sorgfältigen Edition auf DVD und Blu-Ray.
Zu den interessantesten Anime-TV-Serien gehört „Eden oft he east“ von Kenji Kamiyama von 2009. Auch hier stehen zwei Kinder im Mittelpunkt. Saki und Akira. Akira ist eine Art Medium, der über ein Handy alarmiert wird, wenn Gefahr im Verzug ist.
Einmal mehr: Gesellschaftliche Zerfall, Umweltverschmutzung, Terroristen und korrupte Politiker bestimmt die Welt in „Eden oft he east“. Mit den genreüblichen großen, erstaunten Kinderaugen machen sich Saki und Akira auf den Weg, die Welt zu retten – mit mehr oder weniger großem Erfolg. Dabei bewegten sich die Macher der preisgekrönten Serie ganz nah am Zeitgeist – in den komplizierten Verhältnissen verliert Akira gelegentlich den Überblick. In einer der Welt der Lügen und des Machtkalküls. Niemand ist zu trauen, auch sich selbst nicht – die Grenzen zwischen Wirklichkeit und künstlichen, virtuellen Welten nicht immer eindeutig zu bestimmen.
Die komplette Serie „Eden oft he East“ ist bei Universum-Anime auf DVD und Blu-Ray erschienen: insgesamt 238 Minuten. Sie werden er-gänzt von stolzen 257 Minuten Bonus-Material. Dazu gehören unter Anderem diverse Interviews.
Für Juni kündigt Universum die erste Kino-Fortsetzung der Serie an „Eden oft he East – Der König von Eden“.
Ebenfalls in feinster Edition gibt es die neueste Arbeit von Hayao Miyazaki auf DVD/Blu-Ray: „Ponyo“ – eine sehr freie Adaption von Andersens Märchen von der „Kleinen Meerjungfrau“:
Ein Sturm zieht auf, die Flut naht: ein kleiner Junge, der seinen Vater vermisst, rettet ein kleines Goldfisch-Mädchen aus einer misslichen Lage. Das Mädchen Ponyo – halb Mensch, halb Tier – leidet unter ihrem Vater, der sie vor den Menschen warnt und in seiner Unterwasserwelt halten will…
Schliesslich löst der Konflikt einen Tsunami aus, dessen größte Verheerungen die Kinder aber in letzter Sekunde verhindern können. „Ponyo“ ist ein weiterer denkwürdiger Film aus Japan. Einem Land, in dem der Animationsfilm wie nirgends sonst auf der Welt, die Affinität der Menschen zu Katastrophen beschreibt. Zu den zahlreichen Extras gehört eine ausführliche Dokumentation über den Entstehungsprozess des Film – bei dem vorwiegend noch mit dem Zeichenstift gearbeitet wurde.
Aktuelle Anime-Veröffentlichungen: „Nausikaä – Aus dem Tal der Winde“, der „Evangelion-Zyklus“, „Eden of east“ und „Ponyo“ sind bei Universum erschienen, „Detektiv Conan – Das verlorene Schiff im Himmel“ bei Kazé. Die edlen Sammlerausgaben kosten zwischen 11 und 43 Euro.