Deutschland 2011
Regie: Leo Khasin
Mit Ryszard Ronczewski, Neil Belakhdar
Kinostart: 15. März 2012
Der Ausgleich zwischen Juden und Arabern steht im Mittelpunkt der meisten Filme, die in den letzten Jahren in Israel entstanden sind – in der Regel mit finanzieller Unterstützung der staatlichen Filmförderung. Die Produktionen entwerfen auf hohem Niveau Perspektiven für ein gemeinsames Miteinander. Sind damit der gesellschaftlichen Realität ein großes Stück voraus. Der in Russland geborene und in Berlin aufgewachsene jüdische Regisseur Leo Khasin hat den jüdisch-palästinensischen Konflikt in seinem Debut KADDISCH FÜR EINEN FREUND in den Berliner Kiez unter Jugendliche mit Migrationshintergrund verlegt. Der ungewöhnliche Film sorgte bereits auf über 20 internationalen Filmfestivals für Aufsehen. Diese Woche startet er in den deutschen Kinos.
Sozialer Wohnungsbau am Berliner Mehringplatz: hier leben Ausländer, die noch nicht in der deutschen Gesellschaft angekommen sind. Die kleinen hellhörigen Wohnungen sind in desolatem Zustand: Für Familie Messalam ist der Einzug aber ein erster Schritt zur Normalität. Bisher haben die Flüchtlinge aus dem Libanon unter noch bescheideneren Verhältnissen in einem Asylbewerberwohnheim gelebt. Jetzt wurde ihnen immerhin eine unbefristete Duldung erteilt. Damit ist Ehepaar Messalam mit ihren drei Kindern die unmittelbare Angst vor der Abschiebung genommen und bekommt eine Wohnung.
Damit hatten die Flüchtlinge nicht gerechnet: in der Wohnung über ihnen lebt ein Jude: der 80jährige Alexander (Ryszard Ronczewski) aus Russland. Eine schwierige Situation voller gegenseitiger Ressentiments. Der halbwüchsigen Ali Messalam (Neil Balakhdar)macht außerdem in der arabischen Subkultur von Berlin-Kreuzberg ziemlich unangenehme Erfahrungen. Unter den Jugendlichen herrscht eine ziemliche Hackordnung.
Da muss der schmächtige Ali erst einmal beweisen was er drauf hat, bevor er akzeptiert wird. In dem Juden, der über den Messalams wohnt, sehen die Jugendlichen ein willkommenes Opfer, an dem sie ihre Wut auf Israel auslassen zu können. In seiner Abwesenheit brechen sie bei Alexander ein und verwüsten die Wohnung. Als sie von dem alten Mann überrascht werden, nehmen sie reis aus.
Ali ist der einzige von den Tätern, der von Alexander erkannt wird. Er zeigt ihn an. Ein juristisches Nachspiel droht und damit die mögliche Abschiebung der gesamten Familie in den Libanon. Mit dem Mut der Verzweiflung versucht Alis Mutter, die Angelegenheit nachbarschaftlich zu lösen.
Erst widerwillig, dann zunehmend engagiert, bemüht sich Ali die Wohnung des Juden in Stand zu setzten. Regisseur Leo Khasin sucht mit seinem Film „Kaddisch für einen Freund“ den jüdisch-palästinensischen Ausgleich. Dabei dient ihm eine einfache Geschichte als Basis. Das Mehrfamilienhaus, die Scharfmacher auf der Straße, die individuelle Bedrohung durch eine undurchschaubare Bürokratie: die Ausländerbehörde bei den Flüchtlingen, das Sozialamt bei Alexander. Khasins Film ist als symbolträchtige Parabel angelegt. Insbesondere der Schluss. Alexander stirbt. Bei seiner Beerdigung spricht Ali das Kaddisch, das nach jüdischem Brauch von dem männlichen Familienangehörigen gesprochen wird, der dem Verstorbenen am nächsten stand:
„Erhoben und geheiligt werde sein großer Name auf der Welt, die nach seinem Willen von ihm erschaffen wurde“: Am Ende des Films spricht also der junge Palästinenser das „Kaddisch“, eines der wichtigsten jüdischen Gebete.
Der Regisseur geht auch mit diesem heiklen Moment äußerst feinfühlig um, so dass aus „Kaddisch für einen Freund“ kein gut gemeinter Thesenfilm wurde, sondern die anrührende Geschichte einer Annäherung zur Akzeptanz unterschiedlicher Lebens-und Glaubenswelten. Das macht ihn wertvoll und weist Leo Khasin als talentierten Filmemacher aus, auf dessen künftige Arbeiten man gespannt sein darf.