Denkt man an die französische Filmgeschichte der 1960er Jahre, sind vor allem die Regisseure der Nouvelle vague präsent: Jean-Luc Godard, Francois Truffaut oder Eric Rohmer. Die anderen Filmemacher dieser Zeit, die nicht der „Neuen Welle“ zugerechnet werden, sind weitgehend in Vergessenheit geraten. Neue DVD- bzw. Blu-Ray-Veröffentlichungen zeigen, zu unrecht.
Zum festen Kanon auch der deutschen Filmkunsttheater in den 1960er Jahren gehörte „Moderato Cantabile“. Der frankophil gebildete Zeitgenosse hatte selbstverständlich die literarische Vorlage gelesen. Die Verfilmung folgt ziemlich genau ihrer Handlung: Klavierunterricht: nur mit geringem Engagement fügt sich der kleine Junge dem eiserner Regime seiner Lehrerin beim Üben einer Sonatine. Nur sehr mechanisch erklärt er, was „Moderato Cantabile“ in der Musiksprache meint…
Da sorgt im Café nebenan etwas Außergewöhnliches für Abwechslung: ein Volksauflauf und die Polizei auf der Straße lassen den letzten Rest an Konzentration verfliegen: Ein Mann hat seine Geliebte umgebracht. Der kleine Klavierschüler und seine schöne Mutter Anne (Jeanne Moreau), werden Zeuge wie der Mörder von der Polizei abtransportiert wird. Anne ist die nur bedingt glückliche Frau eines reichen Fabrikanten und kommt einmal die Woche zum Klavierunterricht ihres renitenten Sohnes in die schlichte Hafengegend. Die Umstände des Mordes als Akt einer Amour fou lassen Anne nicht los.
So die Ausgangslage in Marguerite Duras Roman „Moderato cantabile“, 1958 erschienen, eines der Schlüsselwerke des Nouveau Roman. Der internationale Erfolg ist bereits ein Jahr später von Peter Brook verfilmt worden. Lange nicht zu sehen, gibt es den Film jetzt auf DVD von Colosseo Film, ein Unternehmen, dass sich bisher auf Veröffentlichungen aus dem Sandalen- bzw. Mantel-und Degen-Genre beschränkt hat. Schön, die Ausweitung der Palette des Angebots…
Am Tag nach dem Mord kommt Anne wieder in das Café de la Gironde – und begegnet Chauvin (Jean-Paul Belmondo), einem Arbeiter und Augenzeugen der Tat: Chauvin und Anne treffen sich fortan öfter, zwei verwandte Seelen haben sich gefunden. Doch die Verhältnisse sind gegen die Beziehung.
„Moderato Cantabile“ ist einer der wenigen Ausflüge des englischen Theater-Regisseurs Peter Brook in das Filmmetier. Das Drehbuch hat er zusammen mit Marguerite Duras geschrieben. Jeanne Moreau und Jean-Paul Belmondo standen damals am Anfang ihrer Karriere. Formal gelang Brook eine überzeugende Kombination aus dem düsteren Realismus des französischen Films der 1930er Jahre mit den Stilmitteln der Nouvelle Vague. Insofern spielt dieser Film eine Schlüsselrolle in der französisch-europäischen Filmgeschichte um 1960.
Eine weitere Rarität neu im DVD-Angebot: „Les yeux sans visage/Augen ohne Gesicht“ von Georges Franju, ebenfalls aus dem Jahr 1960. Concorde Home Entertainment ist die Veröffentlichung zu verdanken. Franju ging nicht nur als experimentierfreudiger Regisseur in die Filmgeschichte ein, sondern auch als Filmtheoretiker und einer der Gründer der Cinematheque Francais. Bei „Augen ohne Gesicht“ kombinierte er Elemente des klassischen Horrorfilms mit denen des Psychodrams. Dabei ist die geistige Verwandtschaft zu Alfred Hitchcock und Fritz Lang nicht zu übersehen.
Der renommierte Chirurg Génessier (Pierre Brasseur) hütet in seiner einsam gelegenen Villa ein Geheimnis: Seine Tochter Christine (Edith Scob) ist nicht tot, sondern durch seine Schuld wurde ihr Gesicht so schrecklich entstellt, das sie die Öffentlichkeit meidet und ständig eine Alabastermaske trägt. Durch die Entdeckung neuer Möglichkeiten der plastischen Chirurgie, hofft Génessier das ursprüngliche Gesicht seiner Tochter rekonstruieren zu können.
Die private Schuld ist inzwischen bei Génessier gegenüber seinem beruflichen Ehrgeiz zurück getreten. Für seine Experimente benötigt er die Gesichtshaut junger Frauen. Seine ihm treu ergebene Assistentin Louise (Alida Valli) lockt entsprechende Opfer in eine Falle, um sie dann zu töten. Das geht natürlich nicht gut und endet schrecklich….
Nicht nur Tochter Christine verweigert sich schließlich den Frankenstein-Experimenten ihres Vater, sondern auch seine Versuchs-Hunde. In der Bundesrepublik kam „Augen ohne Gesicht“ gekürzt unter dem Titel „Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff“ in die Kinos. Mit der DVD leistet Concorde einen Akt der Wiedergutmachung an einem filmgeschichtlich bedeutsamen Meisterwerk. Die Edition enthält die französische Originalfassung, eine deutsche Fassung, in die die früher entfernten Passagen wieder eingefügt sind und – zum Vergleich – deutsche Kinofassung. Außerdem eine spannende Dokumentation über den vielseitigen Regisseur mit dem Titel „Die kränkelnden Blumen des Georges Franju“ von Pierre-Henry Gibert. Danach möchte man mehr Filme von George Franju sehen.
Ein ganz anderes Temperament als der intellektuelle Franju repräsentierte Robert Enrico im französischen Film der 1960er Jahre. Damals wurde er von der Kritik häufig als kommerzieller Routinier abqualifiziert, weil seine Filme an den Kinokassen große Erfolge waren. Im Abstand von fast 50 Jahren ist mit Enrico ein brillanter Stilist zu entdecken – dessen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Genre-Films nicht hoch genug einzuschätzen ist. Das trifft vor allem auf „Les aventuriers/Die Abenteurer“ von 1966 zu. Ebenfalls von Concorde in einer vorzüglichen Blu-Ray-Edition: Der Kunstflieger Manu (Alain Delon) hat seine Karriere als Kunstflieger vermasselt, weil er ohne offizielle Genehmigung versuchte, mit einer Sportmaschine durch den Arc de Triomphe zu fliegen. Auch sein Kumpel Roland (Lino Ventura)hat Pech: der selbst gebastelte Dragster explodiert vor dem großen Auftritt.
Da bekommen die Beiden – zwar nicht ganz freiwillig, aber immerhin – einen interessanten Tipp: vor der kongolesischen Küste liegt auf dem Meeresboden ein havariertes Flugzeug mit einer Menge Geld und anderen Schätzen. Leicht zu bergen für den, der den Standort kennt.
Manu und Roland gelingt es den Schatz zu heben. Mit von der Partie ist auch die erfolglose Künstlerin Laetitia. Doch glücklich werden die drei mit den Millionen nicht.
Aus dem anfänglich lakonischen Buddy-Movie „Die Abenteurer“ wird im Laufe der Handlung ein bitteres existentielles Drama, das von Selbstüberschätzung und der Fatalität des Schicksals handelt. Es ist nicht zu übersehen, dass die literarische Vorlage von José Giovanni stammt. Mit ihm gibt es im Bonusteil der Blu-Ray ein aufschlussreiches Interview.
In ähnlicher Weise wie Robert Endrico drehte Jacques Deray höchst originelle Filme, die einer einfach Kategorisierung entziehen und in ihrer formalen Raffinesse ihrer Zeit weit voraus waren. Ziemlich irritiert reagierten deshalb die Kritiker auf „La picine/Der Swimmingpool“ von 1969. Nicht zu verwechseln mit Francois Ozons „Swimmingpool“. Bei Deray spielen Alain Delon und Romy Schneider die Hauptrollen. Sie verkörpern ein schönes junges Paar, das in einer traumhaften Villa an der Cote d’Azur Ferien macht. In die Zweisamkeit platzt ein alter Freund, Henry (Maurice Ronet)mit seiner halbwüchsigen Tochter Penelope (Jane Birkin).
Schon bald ist die Freude über den Besuch verflogen: Eifersucht, Rivalität und Verdrängtes kommen an die Oberfläche. Am Ende gibt es noch mehr Schuld, einen Toten und eine gescheiterte Beziehung. Bei „Der Swimmingpool“ genügen Jacques Deray sparsamte Gesten und Andeutungen, um die Spannungsfelder zwischenmenschlicher Beziehungen auszuloten. Auch das ein großer Film.
„Der Swimmingpool“ wurde in einer lupenreinen Blu-Ray-Edition von Concorde-Home Entertainment veröffentlicht: Ebenso wie „Die Abenteurer“. Auf DVD gibt es von derselben Firma „Augen ohne Gesicht“ von George Franju. Peter Brooks „Moderato Cantabile“ ist eine Veröffentlichung von Colosseo Film – die Preise liegen jeweils zwischen 15 und 20 Euro.