Polen 2013
Regie: Pawel Pawlikowski
Mit Agata Kulesza, Agata Trzebuchowska
Kinostart: 10. April 2014
Mit über fünfeinhalb Millionen Menschen sind in Polen während des Zweiten Weltkriegs getötet worden. Im Verhältnis zur Zahl der damaligen Bevölkerung ist das die größte Verlustrate aller von den Auswirkungen des Krieges betroffenen Länder. Vor diesem Hintergrund fällt es bis heute schwer, nicht nur von einem Land der Opfer, sondern auch der Täter zu sprechen. Nicht zufällig richteten die Schergen des deutschen NS-Regimes in Polen seine größten Vernichtungslager ein. Sie bauten auf den in diesem Land besonders stark ausgeprägten Antisemitismus. Symptomatisch ist dafür das Massaker in der kleinen Gemeinde Jedwabne, wo im Juli 1941 mehrere hundert Juden in eine Scheune gesperrt und von polnischen Bauern bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Antijüdische Pogrome vor, während und nach 1945 sind in Polen nach wie vor ein Tabu. Trotzdem machen polnische Regisseure Antisemitismus in ihrem Land neuerdings zu Themen ihrer Filme. Nachdem vor zwei Jahren Wladyslaw Pasikowski mit „Poklosie“ (Nachlese) eine heftige Diskussion auslöste, sorgte 2013 Pawel Pawlikowski mit seinem Film „Ida“ für ähnliches Aufsehen. Im Gegensatz zu „Pokliosie“ kommt „Ida“ Dank des Tübinger „Arsenal Filmverleihs“ sogar in die deutschen Kinos.
Im Gegensatz zu seinem Landsmann Pasikowski erspart Pawel Pawlikowski dem Zuschauer Schock- Sequenzen von gelynchten Hunden und ans Scheunentor genagelten Opfern. Sein Film „Ida“ ist subtiler, aber nicht weniger deutlich: gedreht im klassischen, heute kaum noch gebräuchlichen, fast quadratischen Akademieformat und in Schwarz-weiß. Und zwar in genau jenen Grauschattierungen, die typisch waren für die Filme, die Jerzy Kawalerowicz, Andrej Wajda oder der junge Roman Polanski um 1960 benutzt haben. Das sich Pawlikowski an ihnen orientiert hat, ist ebenso wenig zu übersehen wie Anklänge an Andrej Tarkowskij. Allerdings ohne direkt zu zitieren oder womöglich zu imitieren. „Ida“ spielt 1962: die 18jährige Novizin Anna bereitet sich auf ihre Ordination vor. Damit alles seine Ordnung hat, besucht Anna ihre Tante Wanda, von deren Existenz sie bisher nichts wusste. Anna ist als Waise in dem Kloster aufgewachsen.
Vom Leben und Sterben von Anna/Idas Eltern scheint Tante Wanda mehr zu wissen, als sie ihrer stillen irritierten Nichte auf Anhieb erzählen möchte. Doch der Besuch lässt alte Wunden aufbrechen…die Vergangenheit wird wieder präsent.
…so viel ist sicher: Ida Eltern waren nach dem Krieg verschwunden. In ihrem Haus wohnen Polen. Wanda – machte nach 1945 als ehemalige Untergrundkämpferin als linientreue Richterin Karriere – hat ein Auto. Und so fahren die beiden Frauen hin.
Wanda und Ida werden auf ihrer gemeinsamen Reise den Täter finden! Gibt es Vergebung, gibt es Gnade: ist der Glaube hilfreich in dieser Beziehung? Pawel Pawlikowski sagt über seinen Film: Es gehe um Identität, Familie, Glaube, Schuld, Sozialismus und Musik. In einem moralischen Film, der keine Lektionen erteilen wolle, in dem Poesie wichtiger sei als Handlung.
Alles vergessen? Damit ist es leider nicht getan! Weder im wirklichen Leben noch in „Ida“: Dazu muss man wissen, dass der Regisseur seit fast 40 in England lebt und arbeitet. „Ida“ ist sein erster Film, den er in Polen gedreht hat. Es ist die Sicht eines Außenstehenden und gleichzeitig auch Betroffenen, der sich sein Heimatland nicht aussuchen kann. So wie wir deutschen Nachgeborenen, die Verantwortung für den Holocaust mittragen müssen. Das ist es, was den Film „Ida“ so enorm wichtig und universell macht. Ein stiller unaufgeregter Film, der nicht nur eine, sondern viele Wahrheiten enthält! Der Film zu Ostern!