Julian ist ein blonder Jüngling, der von Berlin nach Tuttlingen im deutschen Südwesten wandern will. Durch diesen Kraftakt will er verhindern, das der Vater seines besten Freundes stirbt. Unterwegs begegnet Julian der Ärztin Ju, die ihren Beruf, den täglichen Umgang mit Krankheit und Tot, nicht mehr aushält.
Julian ist „Der Mann der über Autos sprang“: in diesem wundersamen Film von Nick Baker Monteys spielen Robert Stadlober und Jessica Schwarz die Hauptrollen. Eine Koproduktion mit dem SWR und arte, die gestern in Hof Premiere hatte. Ein Film über die Kraft der persönlichen und gesellschaftlichen Erneuerung. Heißt Veränderung! Das scheint derzeit das Generalthema der Filmemacher zu sein: diesen Schluss legt das Programm der „44. Internationalen Filmtage“ nahe. Wie kaum ein anderes Festival versteht sich Hof als sensibler Beobachter der Befindlichkeiten – vorzugsweise in der deutschen Filmszene.
Ein anderes Beispiel aus dem üppigen Hof-Angebot: 1914: In Estland sind sich die deutschsprachigen Balten in der brutalen Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung mit den Russen einig. Ebbo (Edgar Selge) gehört nicht nur als Junker das Gut „Poll“. Seine Leidenschaft als Arzt gilt der Eugenik. Die von zaristischen Soldaten ermordeten Esten nimmt er dankbar als „Forschungsmaterial“ an: „Poll“ ist der Titel des neuen Films von Chris Kraus nach seinem Erfolg „Vier Minuten“, der heute bei den diesjährigen Hofer Filmtagen uraufgeführt wird: Eine bildmächtige Beschreibung einer Welt am Abgrund, die entfernt an Michael Hanekes „Weißes Band“ erinnert. Wobei die Katastrophe bei Kraus einen noch erbarmungsloseren Verlauf nimmt. „Poll“ beschreibt die Folgen der Ignoranz gegenüber den Zeichen der Zeit, die Veränderung signalisieren. Dabei gelang dem Regisseur bei allen Schauwerten eine höchst differenzierte Beschreibung der psychologischen Befindlichkeiten und Ambivalenzen der Protagonisten. Wobei ihm die Autobiographie der Schriftstellerin Oda Schäfer (d.i. Oda Lange) (1900-1988) den Ausgangspunkt lieferte.
Der Film wird von Piffl Medien verliehen und kontrovers diskutiert werden. Nichts für schwache Nerven…gleichwohl einer der künstlerischen Höhepunkte im deutschen Film der kommenden Saison!
„Carlos“ die monumentale fünfeinhalbstündige filmische Chronik über einen, der versuchte die Verhältnisse in der Welt mit Gewalt zu verändern, startet nächste Woche in den deutschen Kinos. In Hof hatte eine für den deutschen Markt zusätzlich neu geschnittene 190-Minuten-Version Premiere. Mit dem venezuelischen Schauspieler Edgar Ramirez in der Titelrolle ist dem französischen Regisseur Olivier Assayas ein Meilenstein der Filmgeschichte gelungen.
Ein weiteres Highlight der diesjährigen Hofer Filmtage ist die Retrospektive und die persönliche Anwesenheit des New Hollywood-Pioniers Bob Rafelson. Zwar schockiert die Kopulation von Jack Nicholson und Jessica Lang in „Wenn der Postmann zweimal klingelt heute niemand mehr, aber der Film insgesamt hat die Jahre erstaunlich modern überstanden.
Die wieder einmal in jeder Beziehung spannenden Hofer Filmtage dauern noch bis Sonntag und macht ihrem von Wim Wenders kreierten Slogan „Home of Films“ alle Ehre.