Während sich deutsche Politiker und sogenannte „gesellschaftlich relevante Gruppen“ in der Bundesrepublik mit aktiver Sterbehilfe schwer tun, haben international Filmemacher damit kein Problem. Prominenteste Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit sind „Million Dollar Baby“, „Das Meer in mir“ oder „Invasion der Barbaren“. Seit dem Skandal um den Film „Die Sünderin“ von 1950 war das Thema für deutsche Produzenten allerdings tabu. Ein erster Versuch damit umzugehen, wagte in diesem Frühjahr der junge Regisseur Frederik Steiner mit „Und morgen Mittag bin ich tot“. An diesem Wochenende hatte im Rahmen der Filmfestspiele von Locarno auf der Piazza Grande vor 8000 Besuchern der Film „Hin und weg“ von Christian Zübert Premiere. Mit Florian David Fitz, Jürgen Vogel und Hannelore Elsner in den Hauptrollen ist hier aktive Sterbehilfe in eine Tragikomödie verpackt worden. Zübert hatte zuletzt mit „Dreiviertelmond“ Erfolg.
Am Ende von „Hin und weg“ herrscht allgemeine Betroffenheit auf der bis zum allerletzten Platz besetzten Piazza Grande von Locarno. Vor allem im letzten Drittel kommen verstärkt Papiertaschentücher zum Einsatz; der Applaus bleibt verhalten. Auch die Natur spielt mit: auf der einen Seite der Piazza geht riesengroß der Vollmond auf, auf der anderen heftiges Wetterleuchten über dem Largo Maggiore. Das entspricht in etwa dem dramaturgischen Wechselbad, dem Regisseur Christian Zübert sein Publikum bei „Hin und weg“ aussetzt.
Alte Freunde starten zu einer Radtour. Offenbar folgen sie damit einer längeren Tradition. Verwunderung löst das diesjährige Ziel aus – Belgien. Das verspricht nicht unbedingt eine prickelnde Tour – außer das sie größtenteils flach verläuft.
Hannes hat die Tour ausgesucht. Er macht keinen guten Eindruck, das drückt auf die Stimmung, die zwischen Zwangsharmonie und betretenem Schweigen schwankt. Irgendwann bei einem gemeinsamen Abendessen erklärt Hannes, warum es ihm nicht gut geht und warum die Reise nach Belgien gehen soll.
Hannes leidet an ALS oder „Amyotrophe Lateralsklerose“. Das ist eine zwar seltene, aber besonders hässliche Erkrankung des Nervensystems, die zur völligen Lähmung des Betroffenen führt. Im Moment noch unheilbar. Belgien deshalb, weil es da seit 2002 eine gesetzlich verankerte „Sterbehilfe für Patienten“ gibt, die sich in einer medizinisch aussichtslosen Lage befinden und sich auf eine anhaltende, unerträgliche körperliche und psychische Qual berufen können.
Diese Voraussetzungen sind bei „ALS“ im fortgeschrittenen Stadium gegeben. Die gesetzlichen Regelungen in Belgien zur Beihilfe zum Suizid gehen außerdem über das Schweizer Modell hinaus.
Hier muss der Betreffende, das tödliche Medikament selbst zu sich nehmen, dagegen ist belgischen Ärzten erlaubt, eine letale Injektion vorzunehmen Christian Zübert und seine Ko-Autorin Ariane Schröder haben für „Hin und weg“ gründlich recherchiert und ein in sich stimmiges Drehbuch geschrieben.
Dabei konnten sie sich bei diesem gewichtigen Themas sogar einen bisweilen heiteren Tonfall erlauben. Dass sie damit nicht im Nirvana der Peinlichkeit gelandet sind, hat auch mit der Ensembleleistung der Schauspieler zu tun – selbst in heiklen Momenten, wie der Sterbeszene zum Schluss. Popularität und schauspielerisches Können müssen sich nicht ausschließen:
Florian David Fitz hat in der Vergangenheit in Filmen wie „Vinzenz will Meer“ und „Jesus liebt mich“ bewiesen, dass er schwierigen Gradwanderung gewachsen ist. In „Hin und weg“ spielt er den totkranken Hannes. Eine Rolle, mit der der Schauspieler an seine Grenzen gegangen ist. Auf Schlüsselszenen des Films angesprochen, ringt Florian David Fitz auch noch Monate nach den Dreharbeiten um seine Fassung…
„Hin und weg“ ist zumindest für deutsche Verhältnisse ein mutiger Film, der etwas wagt, das es so bisher noch nie auf der Leinwand gegeben hat. Ab Ende Oktober wird „Hin und weg“ dann auch in den Kinos zu sehen sein…