Deutschland 2012
Regie: Andreas Dresen
Kinostart: 6. Sept. 2012
Ein Imbissbuden-Besitzer, den Straßenmusiker nerven; ein prolliger LKW-Fahrer, der sich bei einer allein erziehenden Mutter einquartiert; ein älteres Ehepaar, das den Sex wiederentdeckt; die Chronik einer Krebserkrankung: Wie kein anderer versteht es der Regisseur Andreas Dresen, die Befindlichkeit der Menschen in unserer Zeit in seinen Filmen darzustellen, ohne sie mit ihren Schwächen vorzuführen. Was im Fiktionalen exzellent funktioniert, gelingt Andreas Dresen auch im Dokumentarischen. Vor zehn Jahren begleitete er in „Herr Wichmann von der CDU“ den Wahlkampf eines Nachwuchs-Abgeordneten. Jetzt kommt mit „Herr Wichmann aus der dritten Reihe“ die Fortsetzung in unsere Kinos.
Inzwischen ist Henryk Wichmann 33 und seit 2009 Oppositionsabgeordneter im Brandenburger Landtag, in dem die SPD die Mehrheit stellt. Dabei bestimmt weniger die Politik seinen Alltag, als die Flora und Fauna seines ländlichen Wahlkreises in der Uckermark. Zum Beispiel der seltene Schreiadler, über dessen gefährdete Population der NABU wacht. Trotzdem ist Wichmanns Idealismus ungebrochen. Ganz die Ruhe selbst, absolviert er eine Fragestunde in einem Seniorenheim, wo neben der Kritik an der mangelhaften vorweihnachtlichen Illumination der Gemeinden, ihm auch der Schreiadler wieder begegnet.
Ein weiteres Problemfeld für Henryk Wichmann ist der Ausbau des Berlin-Usedom-Radwegs! Hier sind es insbesondere sonnenbadende Eidechsen und hitzeempfindliche Frösche, die es bei der Planung zu berücksichtigen gilt.
Der Schreiadler verfolgt den CDU-Landtagsabgeordneten Wichmann schließlich sogar bei einem anderweitigen Ortstermin, zu dem ihn besorgte Bürger eingeladen haben. Es gilt eine wilde Müllkippe im Wald zu besichtigen. Wichmann ist angesichts dieses Umweltfrevels fassungslos und tadelt die Tatenlosigkeit der Umweltschutzverbände. Wo die sich doch zum Beispiel energisch für den Schreiadler engagieren…
Andreas Dresen stellt „Herrn Wichmann aus der dritten Reihe“ als eine Art Don Quichotte in der deutschen Provinz vor. Ein Mann, der sein Mandat ernst nimmt, auch wenn es manchmal schwer fällt. Der Gutmensch Wichmann wäre ein gefundenes Fressen für eine boshafte Satire gewesen. Doch davon ist Dresen mit seinem Film weit entfernt! Es gehört zu den Qualitäten dieses Regisseurs, dass er bei allen Skurrilitäten im Alltag des Abgeordneten ihn in keinem Moment zur Karikatur macht. Dresen lenkt den Blick des Zuschauers vielmehr auf die Wirklichkeit eines undankbaren Job, der eine hohe Frustrationstoleranz erfordert.
Sein distanziert-ironischer Blick lassen uns in bestem Sinne mitleiden an Herrn Wichmanns Kampf gegen die Windmühlen der Bürokratie. Wobei sein anscheinend unerschütterlicher Glaube an das Gute ansteckend wirkt… „Herr Wichmann aus der dritten Reihe“ übertrifft deshalb den Vorgängerfilm „Herr Wichmann von der CDU“, weil er die Niederungen der Lokalpolitik zeigt – als Musterbeispiel konkreter Demokratie – unter den Fittichen des Schreiadlers…