Deutschland 2009 – Regie Jo Baier, mit Julien Boisselier, Ulrich Noethen, Hannelore Hoger u.v.a.
Über den cineastischen Sachverstand von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist bisher wenig bekannt. Für alles, was mit Kino zu tun hat, ist schließlich Kulturstaats-minister Bernd Neumann zuständig. Wenn die Chefin sich selbst in ein Lichtspielhaus bemüht, will das also etwas heißen! Am letzten Wochenende hat es sich die Kanzlerin nicht nehmen lassen, der Kinopremiere von „Henri 4“ in Berlin beizuwohnen.
Beistand (und dazu noch weiblichen) hat Produzentin Regina Ziegler bei diesem Film bitter nötig. Für die Verfilmung der beiden Heinrich Mann-Romane über „Henry Quatre“ hat sie knapp 20 Millionen ausgegeben. Für deutsche Verhältnisse ist das ziemlich viel. Bei der Pressevorführung anlässlich der Gala-Uraufführung von „Henri 4“ als „Berlinale Special“ wurde respektlos viel gelacht, obwohl es Regisseur
Jo Baier ebenso ernst meint mit dem Filmen, wie Heinrich Mann mit dem Schreiben. So kann man ehrlich hoffen, dass Frau Merkel an einem barbrüstig Schwerter schmiedenden Ulrich Noethen (Karl IX.) überhaupt nichts Komisches fand. Ebenso wenig daran, das Hannelore Hoger (Katharina von Medici) ihrer lasterhaften Tochter Margot zur Strafe in den Hintern beißt. Die wird von einer weniger bekannten Dame – Armelle Deutsch – verkörpert, wurde aber auf Isabel Adjani geschminkt. – Wohl als cineastische Reminiszenz an Chéreaus „Die Bartholomäus Nacht“ – einem bereits etwas älteren Film zu einer Episode aus dem dramatischen Leben des Herzogs von Navarra und späteren Heinrich IV.
Das Massaker an den Hugenotten kommt bei Baier ebenso vor wie das Edikt von Nantes. Aber ebenso en passantes. Dazwischen wird viel geritten und gefochten, wie das im 16. Jahrhundert a la mode war. Ach ja, den Henry gibt Julien Boisselier. In Frankreich ein gern gesehener Frauenherzenbrecher. In „Henri 4“ wirkt er eher wie ein ausgemustertes „D&G“-Modell, das sich beim Sex mit Madame nur mäßig verausgaben will. Aber wie der Jo Baier die Lust auf dem Lotterbett inszeniert hat: Mann o Mann, da wird auf seine alten Tage noch Oswald Kolle blaß! Ich hoffe, Frau Merkel hat da entweder schamvoll zu Boden geblickt oder mit dem Kanzleramt telefoniert. Und erst wieder hingesehen, wenn in selbst kleinsten Nebenrollen von „Henri 4“ deutsche Filmprominenz zu entdecken war, über die sie bestimmt schon in den Gazetten gelesen hat, wenn sie bei Udo Walz unter der Trockenhaube sitzt: Sandra Hüller, Wotan Wilke Möhring, Joachim Krol, Devid Striesow – ja sogar das Sams und Prof. Börnes „Tatort“-„Alberich“, ChrisTine Urspruch – sind mit von der Partie.
Außerdem soll jedes Pferd bei den Dreharbeiten mit einer eigenen DV-Kamera ausgestattet gewesen sein. Brav montierte Baier seine Schlachtszenen direkt nach Pudowkins Revolutionsfilmtheorie. Da die Kanzlerin wenig Vergleichsmöglichkeiten hat, wird sie sich zu „Henri 4“ nur positiv geäußert haben. Obwohl Regina Ziegler grundsätzlich nur Rot trägt und vielleicht bei heiklen historischen Stoffen nicht das beste Händchen hat. So ist ihr leider bei der Wahl Jo Baier als „Henri“-Regisseur eine eklatante Fehlbesetzung unterlaufen. In dieser weiten, komplizierten Welt ist es selbst Filmemachern nicht gegeben, alles und jedes Buch – sei es noch so kompliziert – inszenieren zu können. Andererseits spricht der Dichter: „Nur der Mittelmäßige ist ständig in Höchstform!“ Wie auch immer: Vielleicht dreht Jo Baier in Zukunft doch lieber wieder kleiner dimensionierte Fernsehspiele…
berlinalekenner
Bittere Geschichte: Die Berlinale wollte den Film erst gar nicht haben, weil er qualitativ einfach zu schlecht ist. Dann hat tatsächlich das Kanzleramt Druck auf die Berlinale ausgeübt, die den Film dann mit Zähneknirschen ins Programm aufgenommen hat, aber so weit weg vom Potsdamer Platz wie möglich…
jo baier
Sehr geehrter Herr Spaich,
Ihre „Kritik“ zeugt von so wenig Ahnung wie die Details, die Sie anführen. Devid Striesow heißt mit Vornamen nicht „Detlev“, Hannah Herzsprung hat in unserem Film gar nicht mitgewirkt und wenn Sie ein wenig Ahnung hätten von der Vorlage, wüssten Sie, dass der „Po-Biss“ der Medici legendär und historisch verbürgt ist. Da ist es dann auch schon egal, dass der Zusatz, das Kanzleramt hätte „Druck ausgeübt“ frei erfunden ist. Alfred Holighaus, Mitglied er Auswahlkommission in Berlin, dem der Film in meinem Beisein gezeigt wurde, zeigte sich sofort davon überaus beeindruckt und hat dies Herrn Kosslick auch mitgeteilt. Das Kanzleramt wusste von gar nichts. Schade, dass Sie sich als „Filmkritiker“ damit ein Armutszeugnis ausstellen. Dass Sie uns um die „Dimension“ beneiden sei Ihnen erlaubt. Häme aber hat noch keine „Kritik“ aufgewertet, im Gegenteil. Übrigens: Unser Film spielt hauptsächlich im 16. Jahrhundert! Aber das ist bei dieser Besprechung „wurst“…
Mit besten Grüßen
Jo Baier
Herbert Spaich
Lieber Herr Baier,
für die Tippfehler bitte ich um Entschuldigung! Ebenso das ich Frau Herzsprung mit Frau Hüller verwechselt habe. Wie Sie wissen, schätze ich Ihre bisherige Arbeit sehr. Um so erstaunter und – ich muß schon sagen: mit einer gewissen Verärgerung – habe ich Ihren „Henri“ gesehen. Das zur „Häme“! Zumal ich die Bücher Heinrich Manns sehr schätze. Vor diesem Hintergrund wäre es sicher besser gewesen, Sie direkt zu fragen, wie es zu diesem Unglück kommen konnte oder sind Sie allen Ernstes mit dem Ergebnis Ihrer Arbeit zufrieden?
Da ich noch ein Novize in Sachen Blog-Kommunikation bin, verspreche ich Ihnen, mich künftig bei der Häme zurück zu halten. Sie haben recht, damit habe meine Kritik ins Abseits zu manövriert und das ist schade! So hoffe auf einen weiteren konstruktiven Dialog mit Ihnen,
Es grüßt
Ihr
Herbert Spaich
Emma Hippe
Sehr geehrte Damen und Herren,
als geschichtsinteressierte Kinogängerin war ich von diesem Film begeistert. nach meinen Kenntnissen zu den diversen Biografien von Heinrich VI , Katharina de Medici sowie Margarete von Valois ist er bis ins Detail ziemlich genau. Diese Häme in den deutschen Medien kann ich nicht nachvollziehen und finde ich scheußlich. Endlich mal ein deutscher Film mit internationalem Niveau. Der Hauptdarsteller wirkt übrigens nicht wie ein ausgemustertertes D&G-Modell sondern begeistert sicher die meisten (Frauen).
Ihre Emma Hippe
Steffen Wilda
Superlative 18 Millionen Besucher bei nur 22.000 Euro Ausgaben – Sensationell
Oder war’s andersum?
Na egal.
Jedem Mitglied in diesen hochgradig kompetenten Fördergremien bitte sofort das Bundesverdienstkreuz für Mut und Sachverstand.
Andrea Schütze
Hallo Herr Spaich,
zunächst wird in dieser Kritik vom Leder gezogen, was Kritik in der Tat nicht aufwertet, denn einen Verriss kann jeder schreiben, konstruktive Kritik hingegen nur, wer etwas versteht oder zumindest zu verstehen bemüht war. Insofern hat Herr Baier mit seiner Kritik an der Kritik absolut Recht.
Was allerdings noch schwerer wiegt als eine Kritik „vom Leder“ ist, wenn der Kritiker – nachdem seine Kritik Gegenwind erzeugt hat – den „Rückwärtsgang“ einlegt und sich in Entschuldigungen und Beschwichtigungen ergeht.
Ein Kritiker soll nicht um reißerische Provokation bemüht sein, die die Intelligenteren unter den Lesern übrigens durchaus durchblicken und sich davon weniger überzeugen lassen als Sie vielleicht vermuten. Ein Kritiker soll nach einer objektiven Analyse von Positivem und Negativem ein verantwortungsvolles Urteil abgeben zu dem er dann auch stehen kann, egal ob es dem Rest der Welt – und insbesondere dem Kritisierten – gefällt oder nicht.
Das ist Kritik und nichts anderes.
Mit freundlichen Grüßen
Andrea Schütze
Jo Baier
Sehr geehrter Herr Spaich,
auch wenn unser „Austausch“ schon eine Weile zurück liegt – ich war inzwischen sehr beschäftigt – noch eine kurze Antwort auf die Antwort. Erstens: ich bekenne mich zu meinem Film und er ist so geworden, wie ich ihn haben wollte und ich finde, da ist mir vieles sehr gelungen, auf das ich auch stolz bin. Alles gelingt ja selten. Ob man das nun mag oder nicht. Aber wie Sie sicher wissen, als Filmbegeisterter, die Geschichte des Filmes lehrt uns, dass nicht alles gleich Erfolg war und manches auf erbitterten Widerstand gestoßen ist am Anfang, was später dann gelobt wurde. Ich erinnere mich zum Beispiel an die Verrisse von „Fitzcaraldo“ von Werner Herzog, Sie kennen sicher auch die Geschichte von „Peeping Tom“ usw. Was mein Film nicht ist und nie sein wollte, war „gefällig“. Er ist radikal, im Pathos, in der Schauspielerarbeit, in den Gewalt- und Sexdarstellungen. Da war Caravaggio mein Vorbild und ich wollte bei meinen Zuschauern ein „Gefühl für Renaissance“ entwickeln, kein Gemälde zelebrieren, also in etwa das Gegenteil erreichen von „Barry Lyndon“. Das kann man mögen oder nicht. Ich war interessanterweise gerade in Edinburgh beim Filmfestival, da wurde der Film vom Publikum begeistert aufgenommen und von den Veranstaltern hoch gelobt. Auch das gibt es. In Deutschland war das anders. Ob da Missgunst mitspielt, eine andere Erwartungshaltung – ich weiß es nicht. Mit fairen Dingen jedenfalls ging es nicht zu. Schon deshalb nicht, weil seltsamerweise alle, die den Film im Vorfeld gesehen haben, mir immer wieder ihre Begeisterung bekundeten. Viele von denen sind danach schamhaft verstummt, andre stehen nach wie vor zu ihrem Urteil. Und noch etwas: Wenn Sie Heinrich Mann schätzen und das Buch so gut kennen wie ich, dann können Sie gar nicht zu Ihrem Urteil kommen. Dass Sie meine sonstigen Arbeiten schätzen würden, davon weiß ich nichts, darüber habe ich nie etwas gehört. Einen Meinungsaustausch mit meinen Kritikern scheue ich so wenig wie den mit meinem Publikum. Dass der Film beim Publikum nicht so ankam wie z.B. „Die Päpstin“ liegt sicher nicht an den Verrissen, da überschätzen Sie den Einfluss der Kritiker. Denn auch „Die Päpstin“ wurde allgemein verrissen – und war dennoch ein Erfolg. Und im übrigen: auch Kritiker können irren, selbst wenn sie in der Mehrzahl sind. Das lässt sich historisch sehr leicht nachweisen.
Mit besten Grüßen
Jo Baier
Herbert Spaich
Lieber Herr Baier,
Sie haben völlig recht, Kritiker können irren! Ebenso wie sie subjektive Voten abgeben. Ich denke auch nicht, dass es mir und meinem Berufstand anzulasten ist, dass Ihr „Henri 4“ an den Kinokassen dramatisch eingebrochen ist – per anno haben den Film nur 32 211 Besucher (Quelle: FFA) gesehen. Zur „Päpstin“ kamen bisher immerhin 2,480 Mio. Nun sind natürlich Zuschauerzahlen kein Kriterium für die Qualität eines Films. Wenn freilich Kritiker und Publikum wenig Begeisterung zeigen, sollte das zu denken geben.
Sie haben sich bei „Henri 4“ auf ein schwieriges Terrain gewagt – in jeder Beziehung. Kostümfilme haben ihre Tücken, vor allem wenn man es ernst meint.
Ein interessantes „Gegenstück“ zu Ihrem Film hat Bertrand Tavernier mit „La Princesse de Monpensier“ gedreht. Haben Sie ihn Cannes oder München gesehen? Der Vergleich zeigt für mich, dass deutsche Filmemacher bei diesem Genre zur Verkrampfung neigen. Etwas mehr Nonchalance täte da manchem gut – auch im Umgang mit der Filmkritik. In der einen wie der anderen Beziehung könnte Tavernier als Vorbild dienen, der für seine „Princesse“ ziemlich gescholten wurde…und der (zumindest bei mir im Interview) manches an seinem Werk inzwischen selbstkritisch sieht…
Ich freue mich, von Ihnen zu hören
Ihr
Herbert Spaich
Jo Baier
Lieber Herr Spaich,
den Film von Bertrand Tavernier habe ich nicht gesehen, ich habe allerdings wenig Rühmliches darüber gehört, werde mir jedoch sicher mein eigenes Urteil bilden, dann kann ich dazu Stellung nehmen.
Natürlich sind wir alle zutiefst betroffen darüber, dass so wenige Menschen ins Kino gegangen sind, um unseren Film zu sehen, keine Frage. Wie erwähnt, das hatten wir nach den Reaktionen im Vorfeld (inklusive jener in Hollywood) einfach nicht erwartet. So wenig, wie den heftigen, teilweise hämischen Gegenwind, der uns seit der Berlinale entgegen blies. Offenbar hat sich niemand für Heinrich Mann und niemand für dieses Thema interessiert. Das ist sehr bedauerlich, denn wir (die Macher) sind der Überzeugung, dass es durchaus Aktualität hat.
Andererseits möchte ich Ihnen erwidern: wenn trotz aller Verrisse Menschen einen solchen Film loben und gut finden können (auch Kollegen, einer wie Volker Schlöndorff hat dies sogar öffentlich getan), könnte man ja doch auf den Gedanken kommen, so übel kann das Produkt doch nicht ausgefallen sein oder was sehen die dann, was andere nicht erkennen wollen oder können, da werden Sie mir zustimmen. Also so eindeutig, wie manche Kritiker uns glauben machen möchten, kann das Ergebnis nicht sein. Aber keine Sorge, ich verfüge schon über genug Selbstkritik (und wenn Sie meine Filme kennen, werden Sie daran nicht zweifeln), um Stärken und Schwächen der eigenen Arbeit erkennen zu können. Allerdings habe ich auch bei anderen Arbeiten oft meinen eigenen Geschmack, bilde mir mein eigenes, manchmal durchaus eigenwilliges Urteil und wundere mich dann darüber, was gerade „angesagt“ ist und deshalb hochgelobt wird, mir jedoch gar nicht gefällt und was andererseits trotz herber Kritik gerade mir gefällt. Nun, darüber kann man vermutlich ewig diskutieren. Leichter tut man sich sicher bei einem Film wie DAS WEIßE BAND, der einfach hervorragend ist, da gibt es nichts zu deuteln. Ansonsten ist dies hier kein Forum für persönliche Diskussionen, denke ich. Sie können sich gerne via mail direkt mit mir austauschen.
Mit besten Grüßen
Jo Baier