Deutschland 2013
Regie: Dieter Reifarth
Kinostart: 30. Mai 2013
Von 1928 entwarf Mies van der Rohe – einer der wichtigsten Architekten des modernen Bauens – für das deutsch-jüdische Textilfabrikanten-Ehepaar Grete und Fritz Tugendhat eine Privatvilla in Brünn in der damaligen Tschechoslowakei. 1930 ist der spektakuläre Bau fertig, für das Mies van der Rohe auch die Möbel entworfen hatte. Heute gehört das „Haus Tugendhat“ zum Weltkultur-Erbe, nach dem der Bau in den letzten Jahren aufwändig restauriert wurde. Dabei wurden die Spuren der wechselvollen Geschichte des Hauses weitgehend getilgt. „Haus Tugendhat“ ist auch der Titel eines Dokumentarfilms, der ab morgen in den deutschen Kinos zu sehen ist.
Großbürgerlich, hochgebildet und weltoffen hatten Gretel und Fritz Tugendhat dem Architekten Mies van der Rohe völlig freie Hand bei der Planung gelassen: Klare Linien im Äußeren auf der Basis einer revolutionären Eisengerüstbauweise, die hier zum ersten Mal beim Bau eines Privathauses benutzt wurde. Versenkbare Fensterfronten und eine Fußbodenheizung sorgen für bisher unbekannten Komfort. Im Inneren setzen Wände, die mit Edelhölzern, Onyx oder Rauhputz verkleidet sind, spektakuläre Akzente.
Für das Esszimmer entwirft Mies van der Rohe Mitarbeiterin Lilly Reich Sitzgelegenheiten, die als Brno-Stühle und Tugendhatsessel Architekturgeschichte machen. Zeitlos schön bis heute, wenn auch ein wenig unbequem…. Bereits bei der Fertigstellung 1930 erregt „Haus Tugendhat“ öffentliches Aufsehen und wird wegen seiner Kompromisslosigkeit im Hinblick auf seine Alltagstauglichkeit heftig diskutiert
Die angesehene Architekturzeitschrift „Die Form“stellt in einem Artikel die Frage „Kann man in Haus Tugendhat wohnen?“ und damit eine Grunsatz-Debatte über den praktischen Umgang mit den Entwürfen der modernen Architektur aus.
„Aber ist das Wohnen in diesem Einheitsraum nicht ebenso ein Paradewohnen wie in der Flucht der alten Gesellschaftsräume? Ob die Bewohner die großartige Pathetik dieser Räume dauernd ertragen werden, ohne innerlich zu rebellieren?“
Das ist eine der Fragen, die Dieter Reifrath in seinem Dokumentarfilm „Haus Tugendhat“ stellt. Dabei lässt er Zeitzeugen zu Wort kommen, wie den 1930 geborenen Sohn Ernst Tugendhat, einem der wichtigsten deutschen Philosophen der Gegenwart, der inzwischen in Tübingen lebt.
1938 werden Grete und Ernst Tugendhat in die Emigration vertrieben, ihre Villa in Brünn von der Gestapo beschlagnahmt. 1943 zieht der kaufmännische Direktor der Klöckner Flugmotorenwerke aus Hamburg Walter Messerschmidt in das Haus ein. Die neuen Bewohner finden das Ambiente ziemlich ungemütlich, lassen Zwischenwände einziehen und eine „Bauernstube“ einrichten.
Dieser Frevel an einem Gesamtkunstwerk ist inzwischen ebenso beseitigt worden, wie die baulichen Veränderungen, die nach 1945 immer wieder an Haus Tugendhat vorgenommen wurden.
Regisseur Dieter Reifarth ist das Kunstwerk gelungen, über die wechselnden Besitzer von „Haus Tugendhat“ und ihren Umgang mit einem Architektur-Denkmal Zeitgeschichte zu erzählen. Das ist so spektakulär wie Mies van der Rohes Architektur. Die Villa in Brünn kann inzwischen besichtigt werden… Der Film macht Lust, einmal hin zu fahren…