Um es gleich vorneweg zu sagen: diese „Geschichte des Deutschen Animationsfilms“ auf sechs DVDs ist eine Pionierleistung. Der Kurator Ulrich Wegenast und langjährige Leiter des renommierten Stuttgarter „Trickfilmfestivals“ macht seinem Ruf als profunder Kenner der Materie alle Ehre.
Die Edition zur Geschichte des deutschen Animationsfilms wird mit der epochalen Arbeit „Rhythmus 21“ von Hans Richter programmatisch eröffnet. Richter war in den frühen 1920er Jahren einer der Ersten, der mit den künstlerischen Möglichkeiten des Trickfilms in Verbindung mit der Bildenden Kunst experimentierte. Er war auch einer der frühesten Theoretiker des Genres. Zur frühen Verbindung zwischen Bildender Kunst und Animationsfilm schreibt Ulrich Wegenast im Booklet zur Disc No.1 „Animierte Aventgarde“:
„Ein wichtiger Impuls des deutschen Animationsfilms ging von der bildenden Kunst aus – insbesondere von der avantgardistischen, abstrakten Malerei. (…) Diese abstrakt-experimentellen Arbeiten besaßen eine weltweite Ausstrahlung und beeinflußten Künstler wie Norman McLaren, Len Lye, aber auch den Musiker John Cage…“
Die DVD „Animierte Avantgarde. Der künstlerische Animationsfilm der 20er und 30er Jahre“ neben den bekannten Klassikern wie „Opus 2“ von Walther Ruttmann, Viking Eggelings „Symphonie Diagonale“, mit „Tönende Handschrift 1 bis 3“ von Rudolf Pfenninger eine Rarität. Ebenso selten zu sehen: Berthold Bartosch Klassenkampfparabel von 1932 zu der Arthur Honegger die Musik komponierte.
Die Herrschaft des Nationalsozialismus machte ab 1933 auch der Avantgarde im Animationsfilm ein Ende. Filmemacher wie Walther Ruttmann arrangierten sich mit dem Regime, andere wie Oskar Fischinger emigrierten. Der Eine wie der Andere konnte seine künstlerischen Ambitionen nicht weiter verfolgen. Fischinger hatte zwar die Möglichkeit an Disneys „Fantasia“ mitzuarbeiten – u. A. an der „Toccata und Fuge“- Episode – äußerte sich später aber enttäuscht über die Einschränkungen seines kreativen Potentials.
Aus rechtlichen Gründen, d.h. völlig überzogenen finanziellen Erwartungen der Rechte-Inhaber musste auf ein Beispiel von Fischingers Kunst im Rahmen dieser Edition verzichtet werden. Immerhin ist „Kreise“ an Hand von Standbildern präsent.
„Ich schenke dem Führer 12 Micky-Maus-Filme zu Weihnachten! Er freut sich sehr darüber. Ist ganz glücklich über diesen Schatz“, notierte Joseph Goebbels am 20. Dezember 1937 in seinem Tagebuch. Das Zitat steht im Booklet zur DVD No. 2 „Animation in der Nazizeit“. Nicht nur die Filmauswahl, sondern auch der mitgelieferte ausführliche Text von Ulrich Wegenast zu diesem kaum erforschten Kapitel der Filmgeschichte, schließt eine Lücke.
Vom „Sandmännchen“ einmal abgesehen, ist auch die Animationsfilm-Produktion der DDR im Westen eine Terra inkognita. Obwohl es dazu wenigstens das Buch „Die Trickfilm-Fabrik. DEFA-Animationsfilme 1955-1990“ gibt.
„Zwischen Staatskunst und Underground. Animation in der DDR“ ist der Titel von Disc. No. 3: Aus dem östlichen „Underground“ gibt es „Ein gemachter Mann oder Falsche Fuffziger“ von Kurt Weiler aus dem Jahr 1978. Weiler feierte im August seinen 90. Geburtstag und wurde von Ulrich Wegenast beim diesjährigen Trickfilmfestival mit einer Retrospektive geehrt. Eine Ausnahme im Trickfilm-Alltag der DDR.
Ganz anders in Westdeutschland: In der privat-wirtschaftlich organisierten Filmbranche kam der Trickfilm in den 1950er und 1960er Jahren nur als Randnotiz vor. „Kritik und Experiment – Der westdeutsche Animationsfilm“ heißt die entsprechende DVD. Sie dokumentiert die Aufbrüche des Animationsfilms der Ära Adenauer und die Höhepunkte der 1960er Jahre in diesem Genre. Damals im Standart-Repertoire der Filmkunstkinos – seitdem lange nicht mehr zu sehen.
Zum Beispiel „Schwarz-weiss-rot“, den Helmut Herbst nach einem Drehbuch von Peter Rühmkorf 1963/64 gedreht hat. Außerdem „Die Geburt des Lichts“ von Franz Schömbs, „Die Gartenzwerge“ von Wolfgang Urchs oder „Die Nashörner“ von Jan Lenica und ein Wiedersehen mit Curt Lindas „Shalom Pharao“.
Im deutschen Animationsfilm der Gegenwart spielt die entsprechende Abteilung der Filmakademie Baden-Württemberg und das Stuttgarter Trickfilmfestival eine wichtige Rolle: das zeigt sich an der Studentenarbeit „Die Trösterkrise“ von Daniel Nocke, der sich inzwischen auch als Drehbuchautor einen Namen gemacht hat. Die DVD „Zeitgenossen“ gibt einen repräsentativen Querschnitt durch die gegenwärtigen Trickfilmszene in unserem Land.
Die Abschluss-DVD der „Geschichte des deutschen Animationsfilms“ von Ulrich Wegenast ist komplett dem „Deutschen Animationsfilm in Werbung und Musikvideo“ gewidmet. „Von tanzenden Zigaretten und Elchen:
„Am Busen der Natur“ war der Titel eines Werbekurzfilms für das Kinovorprogramm von 1951. Er stammt aus der Produktion von Hans Fischerkoesen, über Jahrzehnte der wichtigste deutsche Werbefilm-Produzent, dem der SPIEGEL Mitte der 1950er Jahre sogar eine Titelgeschichte widmete.
Auch zum Werbefilm gibt ein fundiert geschriebenes Booklet Hintergrundinformationen. Allein die sechs Begleitbroschüren ergeben eine faktenreiche Einführung in die Geschichte des deutschen Animationsfilms, die die Schlüsselfilme auf den DVDs vorzüglich ergänzen.
Das macht die „Geschichte des deutschen Animationsfilms“ von Ulrich Wegenast zu einer der besten DVD-Editionen des Jahres. Sie ist bei Absolut Medien erschienen und kostet 79.90€. Die DVDs gibt’s auch einzeln für jeweils € 14.90.