Heinrich George war einer der bedeutendsten deutschen Schauspieler des 20. Jahrhunderts, in dessen Biographie sich die politischen Verwerfungen seiner Zeit fast gespenstisch wiederspiegelt. Nach dem Ersten Weltkrieg machte als Charakterdarsteller moderner und klassischer Rollen Karriere – auf dem Theater wie im Film. Politisch sympathisierte George mit der Kommunistischen Partei. Das änderte sich 1933 schlagartig: er spielte die Hauptrolle im ersten Propagandafilm des Regimes „Hitlerjunge Quex“. Goebbels belohnte Heinrich Georges Anpassungsfähigkeit mit der neuen Intendanz des Berliner „Schillertheaters“ und duldete, dass sich der Star-Schauspieler vor Persönlichkeiten stellte, die den Nazis ein Dorn im Auge waren. Nach 1945 vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und deportiert, starb George ein Jahr später im Alter von nur 52 Jahren in einem Straflager unter bis heute nicht eindeutig geklärten Umständen. Während andere, die ebenfalls dem Regime geflissentlich zu Diensten waren, ihre Karrieren ohne nennenswerte Unterbrechungen fortsetzen konnten – von Gustav Gründgens über Heinz Rühmann bis zum „Jud Süss“-Regisseur Veit Harlan. Gestern Abend hatte im Rahmen des Ludwigshafener „Festival des deutschen Films“ der dokumentarische Spielfilm „George“ von Joachim Lang Premiere. In dieser Ko-Produktion mit dem SWR verkörpert Heinrich Georges Sohn Götz den Vater…
Mit der bissigen Bemerkung, bloß keine Sentimentalitäten im Stil der Regenbogenpresse, gibt Jan George, Heinrichs ältester Sohn und der weniger bekannte Bruder von Götz den Tenor von Joachim Langs Film vor. Es gehe nicht um Familieninterna, sondern um Politik! Richtig! Es geht in „George“ um eine deutsche Karriere in Zeiten der Finsternis, um Anpassung und zaghaften Widerstand. Die wundersame Wandlung eines Paulus zum Saulus.
Nur der Wunsch, weiter als Schauspieler arbeiten zu dürfen, habe ihn zum Arrangement mit den Nazi veranlasst: das naive Credo von Heinrich George nach seiner Verhaftung durch die Sowjets. Er habe nichts Böses getan. Im Gegenteil, sich bei Goebbels und sogar bei Hitler mit Erfolg für bedrohte Kollegen eingesetzt. Die Halle seiner Villa zierte das berühmte Großgemälde Max Beckmann, einem verfemten Künstler des NS-Regimes.
Götz George verkörpert seinen Vater Heinrich George auch bei der Beweisaufnahme durch einen sowjetischen Offizier. Das Verhör ist den authentischen Protokollen nachempfunden. Es bildet das dramaturgische Gerüst des Films, dem jahrelange Recherchen Joachim Langs und seines Team vorausgegangen sind.
Der von Jochen Laube für Teamworx produzierte TV-Film versucht eine Annäherung an die schillernde Persönlichkeit Heinrich Georges auf verschiedenen Ebenen. Spielfilmelemente werden durch Dokumentaraufnahmen mit Zeitzeugen ergänzt, die beiden Söhne kommen zu Wort und erinnern sich an den Vater.
Und dann sind da natürlich Ausschnitte aus den filmischen Sündenfällen des Heinrich George – vom ersten NS-Propagandafilm „Hitlerjunge Quex“ von 1933 bis zum letzten – „Kohlberg“, den 1945 nur noch wenige sahen. George immer an vorderster Front! Das sei der Preis für seine bedingte Freiheit gewesen, sagt er… Ein Mitläufer eben, wie Millionen andere Deutsche auch, die ihr „Schäfchen“ im braunen Sumpf ins Trockene bringen wollten. Auch Heinrich George war ein Meister im Übersehen, was nicht zu übersehen war. Nur er musste dafür bezahlen, andere nicht.
Joachim Lang hat sich mit „George“ formal und inhaltlich einiges zugemutet. Ohne in die von Jan George befürchteten Niederungen des Boulevards abzugleiten, gelingt Joachim Lang das Kunststück, dem Vater wie dem Söhnen – insbesondere Götz – im Rahmen eines ARD-Dokudramas gerecht zu werden. Eine Spurensuche auf zwei Ebenen. Da ist die Obsession des Heinrich George, der wie „Faust“ den Pakt mit dem Teufel einging, um sich als leidenschaftlicher Schauspieler verwirklichen können. Und dann ist da das Trauma des Götz George, der nicht nur den Verlust des Vaters zu verkraften hatte, sondern bis heute mit dem übermächtigen väterlichen Schatten leben muss. „Der große Schatten“ ist übrigens der Titel von einem der interessanteren George-Film im Nazi-Deutschland. Regie: Paul Verhoeven, der Vater von Michael. Der hat wesentlich konsequenter als die Georges mit des Vaters Techtelmechtel mit den faschistischen Herrschaften abgerechnet.
Es fragt sich, ob die Produzenten Götz George einen Gefallen getan haben, in dem sie ihn die Verkörperung des Vaters zumuteten. Trauerarbeit? Mehr als das: schliddern auch dem dünnen Eis einer tragischen Vater-Sohn-Beziehung! Götz kann einem leidtun, wie er sich da an Vaters großen Rollen „Götz von Berlichingen“, Dorfrichter Adam oder dem „Faust“ abmüht oder doch nur eine dürftige Kopie abliefert.
Götz George ist sich dessen bewusst und formuliert es sogar unmissverständlich am Ende des Films: „Ich bin alt genug. Hab‘ mein Leben gelebt. Aber Du hast mich halt immer überholt. Du warst halt immer besser, besessener…“
Das hat man in dieser Deutlichkeit so vom inzwischen 75jährigen Götz George noch nicht gehört. Während der Blick der Filmemacher auf Heinrich George und seine Rolle im „Dritten Reich“ gelegentlich zum vehementen Widerspruch herausfordert, liegt die besondere Qualität des Films im geglückten Psychogramm des Sohnes Götz George.
Er steht im Moment für einen „Schimanski“-„Tatort“ vor der Kamera. Deshalb konnte er auch nicht zur Premiere nach Ludwigshafen kommen. Das sagt alles: während Heinrich George mit „Metropolis“ oder als Franz Biberkopf oder Faust Theater-und Filmgeschichte gemacht hat, wird man sich an seinen Sohn später bestenfalls als den Schmuddelkommissar Horst Schimanski aus einer Allerwelts-TV-Serie erinnern. Das ist wirklich tragisch!
Vielleicht trägt ja Joachim Langs Film „George“ immerhin dazu bei, das Götz mit Heinrich endlich ins Reine kommt…
„George“ ist am 22. Juli 2013, um 20.15 Uhr auf ARTE und am 24. Juli 2013, um 21.45 Uhr im Ersten zu sehen.
In weiteren Rollen: Muriel Baumeister (Berta Drews), Martin Wuttke (Goebbels), Hans Zischler (Max Beckmann), Thomas Thieme (Paul Wegener).