Chronik einer Denunziation
220 Seiten, mit ca. 40 Abb.
ISBN 978-3-89910-520-9
Verlag: Collection Rolf Heyne
€ 19.80
Bisher war der „Fall Selpin“ nur eine Fußnote der Filmgeschichte. Herbert Selpin ein fast vergessener Regisseur aus der zweiten Reihe des NS-Films. Am ehesten ist noch sein „deutscher Western“ „Wasser für Canitoga“ von 1939 ein Begriff. Freilich weniger Dank Selpins Regieleistung als vielmehr durch Hans Albers und den von Peter Kreuder komponierten Evergreen „Good bye, Johnny“. Der Star arbeitete gerne mit dem Regisseur zusammen, selbst dann wenn es sich um einen ausgemachten Propagandafilm wie „Carl Peters“ handelte. Letzten Endes konnte auch die Prominenz Herbert Selpin nicht retten: Ende Juli 1942 wurde er verhaftet und am 1. August erhängt in seiner Zelle aufgefunden.
Bisher umgab den Tod Selpins nur Mutmaßungen. Alles deutete auf seine Ermordung durch die Gestapo hin, nach dem er während der Dreharbeiten zu „Titanic“ bei den Machthabern des Regimes in Ungnade gefallen war.
Der akribischen Recherche von Friedemann Beyer ist zu verdanken, das Licht in das Dunkel um Selpins Tod gekommen ist. Wir wissen jetzt, das der Regisseur nicht ermordet wurde, sondern Selbstmord begangen hat. Wobei die Grenze dazwischen camoufliert. Das tragische Ende eines „privaten Zerwürfnisses, das sich unter den durch Diktatur und Kriegsrecht doppelt verschärften Bedingungen zur politischen Affäre auswächst und tödlich endet“, so Beyer in seinem Vorwort.
In seiner „Chronik einer Denunziation“ ist es ihm überzeugend gelungen, am Beispiel dieser Affäre deutlich zu machen, wie in einer Diktatur unversehens ein nicht konformer Gedanke, öffentlich ausgesprochen, in einem System der Spitzel zum Verhängnis; wie dieses System zur Durchsetzung privater Intrigen instrumentalisiert werden kann. Deshalb ist das nicht nur ein Buch für Cineasten. Friedemann Beyer bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt:
„Die Nähe einiger Beteiligter zu Führungskreisen hatte für Selpin fatale Folgen. Doch steht er damit keinesfalls allein. Die Nähe der Führung zum Volk manifestierte sich im NS-Staat (wie in allen Diktaturen) durch ein straff organisiertes Spitzelwesen, dem, wäre er weniger exponiert gewesen, Selpin ebenso hätte zum Opfer fallen können. Mag auch Selpins Fall wegen seiner Prominenz herausragen, so ist er letztlich übertragbar, beispielhaft für jedes Leben in Unfreiheit.“
Wir lernen bei Beyer, der mit seinem Buch dem „hohen Anspruch“ auf „historische Wahrheitsfindung“ voll und ganz gerecht wird, einen Mann kennen, der wendig im „Dritten Reich“ Karriere machte. Wie man sich elegant dreht und trippelt, hatte Herbert Selpin als Amateurboxer (Brandenburgischer Meister im Federgewicht) gelernt. Drahtig lieferte er dem Regime Filme, wie sie sich Propagandaminister Goebbels wünschte – quer durch alle Genres.
Dabei wurde Selpins Hang zu cholerischen Ausbrüchen („Alles Gesindel hier!“) toleriert und von seiner Umgebung gedeckt. Im Grunde war er ja ein netter Kerl.
Eine enge berufliche wie private Freundschaft verband Herbert Selpin mit Walter Zerlett-Olfenius. Äußerlich das genaue Gegenteil zum schicken, gut aussehenden Selpin. Einer, der wenig charismatisch als „Kanalarbeiter“ beim Film als Drehbuchautor arbeitete. Dabei im Ersten Weltkrieg hoch dekoriert wurde. Im Gegensatz zu seinem Bruder Hans H. Zerlett – ebenfalls ein erfolgreicher Regisseur – hat Walter Zerlett-Olfenius keine große Karriere gemacht. Allein als „Anhängsel“ von Herbert Selpin, dem er als Autor zuarbeitete. Beyer deutet an, das Zerlett-Olfenius darunter zunehmend litt.
Die Freundschaft zwischen ihm und Herbert Selpin bekam Anfang der 1940er Jahre weitere Risse. Zumal Selpin in seinen Ausfällen gegenüber dem Freund und Mitarbeiter keine Hemmungen kannte.
Zum Eklat kam es dann 1942 während der Dreharbeiten zu „Titanic“. Das Projekt stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Goebbels wünschte sich am Beispiel des Untergangs des Luxus Liners einen anti-englischen Propagandafilm. Nach dem ein Experte im Drehbuch (von Walter Zerlett-Olfenius) selbst für diesen Zweck inakzeptable Fehler festgestellt hatte, musste nachgebessert werden.
Die mit üppigem Budget ausgestattete Produktion sollte teilweise auf dem ursprünglich als KdF-Kreuzfahrtschiff „Cap Arcona“ gedreht werden, das zu diesem Zeitpunkt als Schulschiff der Marine benutzt und 1945 in der Lübecker Bucht von englischen Jagdbombern in Brand geschossen wurde. Das Schiff wurde irrtümlicher Weise für einen Truppentransporter gehalten. An Borg befanden sich aber tausende KZ-Häftlinge, die bei dem Angriff starben.
Zwischen der Besatzung und Selpin kam es während des Drehs zu ständigen Auseinandersetzung. Als Zerlett-Olfenius vermitteln wollte, wurde Selpin einmal wieder massiv ausfallend. Das ging Zerlett-Olfenius endgültig über die Hutschnur: er legte ein Dossier an und gab es an amtliche Stellen weiter.
Selpin hatte sich bei dieser Gelegenheit nicht nur über die militärische Vergangenheit des Ex-Freundes gelästert, sondern auch über die Militärs an Bord im Besondern und im Allgemeinen. Erst einmal angestoßen, ließ sich der Prozess der Denunziation nicht mehr stoppen. Schließlich landete der „Vorgang“ auf Goebbels Schreibtisch. Der zitierte umgehend Herbert Selpin zu sich, der anschließend verhaftet wurde.
Ob es sich um Mord oder Selbstmord handelte, spielt letztlich keine Rolle: der „Fall Selpin“ zeigt dank Friedemann Beyer die tückische Verhältnisse unter dem NS-Regimes am konkreten Beispiel.
Es ist das Ergebnis einer immensen wissenschaftlichen Forschung in den Tiefen der Archive. Umso erfreulicher, dass daraus kein trockener Exkurs wurde, sondern eine vorzüglich geschriebene Chronique skandaleuse, die sich wie ein spannender Kriminalroman liest. Kurzum: eines der besten Bücher zur Innenansicht der NS-Filmbranche und ihrer Abgründe.
Hans Helmut Prinzler
Lieber Herbert Spaich,
Ihr Text über das Buch von Friedemann Beyer ist informativ und sachkundig. Ich weise auf ihn mit einem Link auf meiner Website hin. Herzliche Grüße, Hans Helmut Prinzler