„Große Emotionen, prominente Gäste“, verspricht das „28. Filmfest München“, das diesen Freitag eröffnet wurde und bis zum 3. Juli dauert. Ein pralles Programm hat Festivalchef Andreas Ströhl für dieses Jahr geschnürt. 214 Filme aus 48 Ländern sind im Angebot. Das überfordert selbst den emsigsten Cineasten. Damit ist München wieder einmal da, wo andere Filmfestspiele auch sind: bei einem unüberschaubaren Programm. Da bleibt nichts anderes übrig, als sich die „Rosinen“ aus dem großen Kuchen in den Lichtspielhäusern der Isarmeile zwischen Gasteig und Isartor herauszupicken.
Wer möchte kann Mads Mikkelsen oder Abbas Kiarostami leibhaftig begegnen, aber auch dem Komponisten Howard Shore oder Ulrich Seidl, dem Macher böser Filme ist die diesjährige Retrospektive gewidmet. Da fallen Veronika Ferres, Christian Berkel oder Mario Adorf schon gar nicht weiter auf, sondern gehen in der Masse unter. Nach der Berlinale ist das Münchner Filmfest nämlich das größte Publikumsfestival der Republik.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, werden während der neun Tage dieser Sommerfestspiele Filme gezeigt, die demnächst in die Kinos kommen sollen oder solche bei denen die Verleiher erst einmal die Reaktion des Volkes abwarten wollen, bevor sie entscheiden, ob sich ein Einsatz wirklich lohnt.
Zum Beispiel will der Erwerb von Bertrand Taverniers Ausflug in die Literatur im Frankreich des frühen 17. Jahrhunderts mit „Die Prinzessin von Montpensier“ wohl überlegt sein, nachdem sich die Begeisterung bei der Uraufführung in Cannes in Grenzen hielt. Der diesjährige Palmen-Gewinner „Uncle Boonmee who can recall his past lives“ von Apichatpong Weerasethakul hat zwar einen deutschen Verleih (Movienet), aber noch keinen Starttermin. Der deutsche Koproduzent des Thailänders ist übrigens „Lindenstraßen“-Vater Hans W. Geissendörfer. Außerdem in Ströhls diesjähriger Wundertüte Neues von Francois Ozon, Jacques Rivette, Alexander Adolph, Joon-ho Bong oder Francis Coppola. Nicht zu vergessen, die deutsche Premiere von Olivier Assayas’ „Carlos“ in einer fünfeinhalbstündigen Fassung.
Gleich zum Auftakt gab es in München mit „Yo, también“ einen ersten künstlerischen wie inhaltlichen Höhepunkt zu sehen: Im Mittelpunkt der spanischen Produktion von Álvaro Pastor & Antonio Naharro steht Daniel (Pablo Pineda), der mit einem Down-Syndrom zur Welt gekommen ist. Eine Ausnahmepersönlichkeit: Er hat es nämlich geschafft, trotzdem zu studieren und einen „normalen“ Job zu finden.
Das macht sein Leben nicht einfacher, im Gegenteil. Da bei ihm die Symptome eines Menschen mit Down Syndrom nicht zu übersehen sind, reagiert seine Umgebung in der Regel auf ihn, wie auf einen Behinderten eben reagiert wird.
Eine Ausnahme macht die schöne Laura (Lola Duenas), seine Kollegin. Aus einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte entwickelten die beiden Regisseure die kluge Beschreibung des Lebens mit einem Handicap. Dabei klammerten sie auch heikle Bereiche nicht aus, wie die nach wie vor weitgehende Tabuisierung von Sexualität bei Behinderten – ohne das es auch nur einen Moment peinlich würde. Dabei zeigen sich bei „Yo, también“ die dramaturgischen Möglichkeiten, Dokumentarisches mit Fiktionalem zu verbinden. Der Hauptdarsteller Pablo Pineda spielt sich praktisch selbst. Mit Lola Duenas wurde ihm eine der gegenwärtig populärsten spanischen Schauspielerinnen zur Seite gestellt. Sie ist durch die Filme Pedro Almodovars bekannt geworden. „Yo, también“ gehört erstaunlichsten Filmen dieses Jahres, der ab 5. August in den deutschen Kinos zu sehen sein wird. Allerdings unter einem nicht gerade glücklich gewählten Titel: „Me too – Wer will schon normal sein?“