Pro Woche starten in Deutschland (theoretisch) zwischen acht und zwölf Filme neu in den Kinos. Da fällt es selbst dem Profi schwer, den Überblick zu behalten. Viele Verleiher überlegen es sich zwischendurch – zur weiteren Erschwernis -anders und verschieben ihre Novitäten auf andere, vermeintlich bessere, Starttermine. Dann haben die Feuilletons das jeweilige Werk bereits gewürdigt und zweimal kommt selten vor. Also kann dem Kinogeher mancher, vielleicht sogar sehr sehenswerter Film entgehen. Vor allem die weniger kommerziell erfolgreichen, werden nach kurzer Zeit aus dem Programm der Lichtspielhäuser gekippt: der Nachschub drängt. Zum Glück haben wir die DVD/BR, die uns meist nach kurzer Zeit „Sehlücken“ zu schließen hilft. Hier einige Werke der Kinematografie, die im letzten Jahr trotz bester Kritiken mehr oder weniger „untergegangen“ sind. Tipps zum „Nachsitzen“, wie es mein Kollege Thomas Klingenmaier auszudrücken pflegt:
Südkorea hat sich in den letzten Jahren – dank einer umfassenden staatlichen Filmförderung – zu einem der interessantesten Filmländer Südostasiens entwickelt. Die Produktionen gehören inzwischen zum festen Bestandteil der Programme internationaler Festivals. Bong Joon-Ho ist einer der bekanntesten Vertreter des neuen Südkoreanischen Kinos. Durch seinen kompromisslosen Blick auf die schwierigen gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse in seinem Heimatland hat er besonderes Aufsehen erregt. Zum Beispiel mit THE HOST: hier sorgt ein Monster aus dem Meer weniger für Angst und Schrecken, als für einen absurden Wettlauf, wie es sich am besten vermarkten läßt. Um ein Monster geht es auch in Bongs neuem Film „Mother“:
Der halbwüchsige Yoon ist nicht der Hellste. Er lebt mit seiner Mutter in einem der ärmeren Stadtviertel Seouls. Hier herrscht das Gesetz der Straße. Wer nicht acht gibt, kommt unter die Räder. Wie das unvor-sichtige junge Mädchen, dessen Leiche auf der Terrasse zu einem Hinterhof gefunden wird. Die bizarren Umstände des Mordes deuten auf einen Psychopaten als Mörder hin.
Joons Mutter ist die Einzige, die ihren Sohn für unschuldig hält. Typisch sagen die Polizisten und der Anwalt, der lustlos die Verteidigung über-nommen hat. Mutterliebe contra polizeiliche Willkür als Vorlage für einen Film ist weder neu noch sonderlich originell. Was der südkoreanische Regisseur Bong Joon-Ho daraus in „Mother“ gemacht hat, war so allerdings noch nie auf der Leinwand zu sehen: die Handlung laviert von Anfang an auf schwankendem Boden. Die Mutter als „guten Geist“ einer Gesellschaft gibt es nicht mehr. Bestenfalls als Rachegöttin, die keine Gnade kennt. MFA hat „Mother“ auf DVD veröffentlicht: Im Bonusteil ein Making of und ein Interview mit dem Regisseur.
Spannendes tut sich in letzter Zeit auch im Türkischen Film. Im vergangenen Jahr wurde bei den Berliner Filmfestspielen der türkische Beitrag „Bal/Honig“ mit dem „Goldenen Bären“ ausgezeichnet. Es ist der letzte Teil einer Trilogie, die Regisseur Semih Kapanoglu mit autobio-graphischen Hintergrund gedreht hat. Sie erzählt die Lebensgeschichte eines Mannes rückwärts. In der „Yusuf“-Trilogie geht es in „Yumurta/Ei“ vom den Erwachsenen, in Süt/Milch um den Jugendlichen und in „Bal/Honig“ um das Kind.
Nahezu ohne Dialog und musikalische Untermalung konzentriert sich Regisseur Kapanoglu ganz und gar auf seinen grandiosen Kinder-darsteller: Yusuf ist ein schwieriges Kind. Nur der Vater hat einen emotionalen Zugang zu ihm. Als der Vater bei einem Unfall getötet wird, bricht für Yussuf eine Welt zusammen. Der Verlust des Vaters wird ihn zeitlebens prägen. Bei Piffl-Medien ist „Bal/Honig“ auf DVD in der Reihe „Good movies!“ erschienen – mit Making of und einem ausführlichen Booklet. Die anderen beiden Teile stehen ebenfalls auf DVD zur Verfügung. „Yumurta/Ei“ nur als englisch untertitelter Import, da der Film bisher nicht in der Bundesrepublik zu sehen war.
Einer der originellsten europäischen Filmemacher der Gegenwart ist Francois Ozon. Jeder neue Film von ihm ist eine Überraschung – in der Form, wie im Inhalt. Im Moment ist sein neuer Film „Das Schmuckstück“ mit Catherine Deneuve und Gerard Depardieu in den Kinos zu sehen. Das Werk davor war „Rückkehr ans Meer“. Kommerziell nicht ganz so erfolgreich gibt es ihn bereits jetzt auf DVD – von Arsenal.
Mousse eine reiche junge Frau wacht nach einer Überdosis Heroin im Krankenhaus aus dem Koma auf. Ihr Freund hat den Drogentrip nicht überlebt. Mousse lässt das Kind nicht abtreiben, sondern zieht sich in ein entlegenes Haus am Meer zurück. Hier bekommt sie Besuch vom schwulen Bruder ihres toten Freundes und daraus entwickelt sich die sensible Beschreibung einer Freundschaft.
Das Erstaunliche an diesem Film ist, wie es Ozon gelingt, Schwangerschaft und das Wunder einer Geburt in einem Kontext darzustellen, in dem eigentlich nichts zusammen paßt. Bei ihm wird daraus ein berührendes großes Ganzes. Ein Erlebnis! Als Extras gibt es ein Making Of und zusätzliche Szenen, die nicht im fertigen Film enthalten sind.
Zu den außergewöhnlichen Filmen des letzten Jahres aus Amerika gehört „The Kids are all right“ von Lisa Cholodenko. Er gehörte zu den Filmen, die für den Oscar u. a. als „Best Picture“ nominiert waren. Ging dann aber leer aus. Bei der Berlinale bekam er immerhin den „Teddy Award“. Auch in „The Kids are all right“ geht es Schwangerschaft, d. h. um eine ganz spezielle Art der Zeugung und deren menschliche Folgen:
Joni und Laser sind dabei Erwachsen zu werden und sind auf dem Weg zur ihrem Erzeuger. Ihre Eltern sind das lesbische Paar Jules und Nic. Die haben sich ihren Kinderwunsch mit Hilfe eines Samenspenders erfüllt. Den haben Joni und Laser jetzt ausfindig gemacht. Davon sind Jules und Nic nicht sonderlich begeistert.
Der Samenspender Paul entpuppt sich als dufter Typ, die Kinder sind begeistert von ihrem Vater und Nic findet Männer mit einem Mal auch ganz nett. Das Nachsehen hat Jules. Ein für amerikanische Verhältnisse gewagtes Thema äußerst charmant umgesetzt. Ein heiterer, menschenfreundlicher Film, der sich nicht auf Kosten seiner Protagonisten lustig macht. Sowas ist ziemlich selten. Als DVD von Universal .
Die Regisseurin Lisa Cholodenko äußert sich ausführlich im Bonusteil der DVD in einer Dokumentation zu den Dreharbeiten von „The Kids are all right“. Wir haben es hier mit einem liebenswerten Film für besondere Stunden zu tun… Mit ausgezeichneten Schauspielern – an der Spitze Annette Bening und Julianne Moore.
Eine nicht weniger ungewöhnliche Rolle spielt Julianne Moore in dem bislang neuesten Film des kanadischen Ausnahme-Regisseurs Atom Egoyan „Chloe“:
Die Gynäkologin Catherine hat ihren Mann in Verdacht, Fremd zu gehen und sich deshalb einen ganz besonders raffinierten Test seiner ehelichen Treue ausgedacht. Sie engagiert das Calgirl Chloe.
Alles läuft anders als geplant: Chloe ist ein Biest, das aus der Ehekrise nach Kräften Kapital zu schlagen versucht. In typischer Manier des Regisseur Egoyan tun sich in der kultivierten Welt Abgründe auf. „Chloe“ ist ein raffiniert inszenierter Alptraum, den es von Arthaus-Kinowelt auf DVD gibt. Auch hier ein umfangreicher Bonusteil, zu dem auch ein Interview mit dem Regisseur gehört.
Filme, die man nicht alle Tage sieht: „Mother“, „Bal/Honig“, „Rückkehr ans Meer“, „The Kids are all right“ und „Chloe“ – wohlfeil zu haben zum Preis zwischen jeweils 10 und 15 Euro. Die meisten Filme gibt es auch auf Blu-Ray – dann kosten sie etwas mehr!