Das Kino boomt: wöchentlich starten in der Bundesrepublik zwischen acht und zwölf neue Filme. Da stöhnt die Branche und der versierte Liebhaber droht den Überblick zu verlieren. Vorausgesetzt ein Film schafft es zum Start in die Lichtspielhäuser, entscheiden die Besucher-zahlen der ersten Tage über sein weiteres (kommerzielles) Schicksal. Bleibt das Werk hinter den Erwartungen, verschwindet es kurzfristig von den Spielplänen und zwar auf immer – Repertoirpflege findet in Deutschland kaum statt.
Der zögerliche Besucher hat das Nachsehen: immerhin hat er die Chance, den verpassten Film nach kurzer Zeit auf DVD bzw. Blu-ray doch noch sehen zu können. Selbst prominent besetzte amerikanische Produktionen müssen häufig diesen Weg in der medialen „Verwertungskette“ gehen. Die überschwänglichsten Kritiken in ZEIT oder SPIEGEL können daran in der Regel nichts ändern. Hier drei Beispiele aus diesem Frühjahr:
„A serious man“ kam im Januar in die deutschen Kinos, aus denen der neue Film von Joel und Ethan Coen nach kurzer Zeit wieder verschwand. Für den Flop dieses Meisterwerks gab es verschiedene Gründe. Unbekannte Darsteller und ein Thema, das nur bedingt Wohlfühlunterhaltung verspricht und im sehr speziellen amerikanisch-jüdischen Mittelstandsmilieu angesiedelt ist. Der ironische Unterton und die unübersetzbaren Dialoge gingen in der deutschen Synchronfassung verloren. Eine Vermarktung mit untertitelten Originalfassungen hätte „A serious man“ vermutlich zu einem kleinen, aber feinen Kinoerfolg verholfen.
Jetzt gibt es ihn immerhin von „Tobis Home Entertainment“ auf DVD und Blu-ray. Da kann man zwischen der deutschen Fassung und dem Original – mit und ohne Untertitel – wählen.
Larry Gopniks (Michael Stuhlberg) ist angesehener Physiklehrer an einer Highschool in der amerikanischen Provinz Da wiederfährt im Unerhörtes: ein Schüler versucht ihn mit einem namhaften Geldbetrag zu bestechen, um bessere Noten zu bekommen.
Ein Symptom in Larrys Leben, in auf einem Mal ein Verhängnis dem nächsten auf dem Fuße folgt. Bisher war Larrys Welt nämlich in bester Ordnung: In der jüdischen Gemeinde seiner Heimatstadt im Mittleren Westen der USA ist er ein geachteter Mann. Beruflich hat er Aussicht auf eine Anstellung auf Lebenszeit. Privat pflegte er ein harmonisches Ehe-und Familienleben. Zumindest schien ihm das so. Bis seine Gattin Judith eines Tages aus heiterem Himmel von Scheidung spricht. Ausgerechnet für den Schleimer Sy Ableman, der erst vor drei Jahren Witwer geworden ist, soll Larry das Feld räumen.
An der Schule öffnen sich weitere Abgründe: Der Erpressungsversuch des Schülers zieht ungeahnte Kreise. Der Rektor spricht von anonymen Briefen, die Auswirkungen auf Larrys Verbeamtung haben könnten. Larry hat das Geld nämlich in der Schublade seines Büroschreibtisches eingeschlossen…
Zu Hause sprengt Larrys nichtsnutziger Bruder Arthur den letzten Rest von heiler Welt, die kriminellen Neigungen von Sohn Danny werden öffentlich.
Larry leidet und sucht geistlichen Beistand bei einem Rabbi. Doch gerät er erst einmal an dessen gut gelaunten Vertreter, der Larry Probleme nur bedingt verstehen kann. Ebenso wie zwei weitere Geistliche, die Larry konsultiert.
Schließlich wird dann doch nicht alles so arg, wie es am Anfang aussah. Larry muss feststellen, dass alle Rechtschaffenheit Grenzen hat und man als „Serious man“ auf Dauer nicht glücklich wird.
Larry erinnert also an Franz Kafkas Joseph K. ebenso wie an den alttestamentarischen Hiob. Im Bonusteil der DVD/Blu-ray werden diese Verbindungen in einem ausführlichen Making Off erläutert.
Joel & Ethan Coen schildern in „A Serious man“ einen Alptraum. Eine Welt gerät aus den Fugen, ohne das es sich der Betroffene recht erklären kann. Wie bereits in „Fargo“ oder zuletzt in „Burn after reading“ wird von den Coens auch diesmal mit alltäglichem Schrecken in einer Art und Weise Scherz getrieben, wie es eben nur die beiden können. Rigoros in ihrem Humor gehen sie menschlichen Schwächen auf den Grund. Bei „A serious man“ ist ihnen das wieder besonders meisterhaft gelungen.
Nicht weniger prominent wie „A serious man“, verschwand kurz nach seiner Premiere bei der diesjährigen Berlinale Martin Scorses „Shutter Island“ wieder aus den Kinos.
Teddy Daniels (Leonardo DiCaprio) hat anscheinend bisher – wie Larry – ein überschaubares Leben geführt: als seriöser U.S. Marshal. Das ändert sich, als er mit seinem Partner Chuck (Mark Ruffalo) nach Shutter Island beordert wird. Dabei handelt es sich um ein Spezialgefängnis für psychisch gestörte Schwerverbrecher auf einer einsamen Insel im Atlantik. Eine Insassin ist spurlos verschwunden. Teddy und Chuck sollen den Fall aufklären.
Auf „Shutter Island“ werden die Polizisten von einem Labyrinth aus Verdächtigungen, Ahnungen, verbaler und körperlicher Bedrohung erwartet, das immer undurchsichtiger wird. Teddy wird plötzlich mit den Schrecken seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert.
Schon bald geht es nicht mehr um die verschwundene Patientin, sondern um Teddy. Traum und Wirklichkeit verschwimmen. Aus der Buchvorlage von Dennis Lehane entwickelte Martin Scorsese bei „Shutter Island“ einen raffinierten Thriller. Obwohl der aufmerksame Zuschauer von Anfang an ahnt, um was es hier wirklich geht, hält der Regisseur meisterhaft die Spannung. Dabei spielt Leonardo DiCaprio den Part des Polizisten Teddy wesentlich überzeugender, als die des Traumdiebs im gegenwärtigen Kinoerfolg „Inception“.
„Shutter Island“ gibt es bereits jetzt auf DVD/Blu-ray von Concorde Home Entertainment in einer soliden Edition mit diversen Dokumentationen. Z.B. über die Geschichte der Psychiatrie in den Vereinigten Staaten.
Ebenfalls bei den Berliner Filmfestspielen 2010 wurde „Der Ghostwriter“ uraufgeführt. Die Verfilmung eines Bestsellers von Robert Harris verdankte seine besondere Publizität der damals noch bestehenden Inhaftierung des Regisseurs Roman Polanski. Er durfte nicht nach Berlin reisen. Das Medienspektakel hat dem Film jedoch nicht geholfen, die Kinoleinwände zu erobern.
Deshalb ist „Der Ghostwriter“ jetzt von Arthaus-Kinowelt auf DVD veröffentlicht worden. Im umfangreichen Bonusteil gibt unter anderem auch eine Dokumentation über die Dreharbeiten und Roman Polanski.
Auch in „Der Ghostwriter“ ist es ein etwas naiver Durchschnittsbürger (Ewan MacGregor), der plötzlich den Boden unter den Füssen verliert: der Schriftsteller bekommt die vermeintliche Chance seines Lebens. Für eine viertel Million Dollar soll er die Memoiren des abgehalfterten englischen Premierministers Adam Lang (Pierce Brosnan) in eine lesbare Form bringen. Sein Vorgänger ist unter seltsamen Umständen gestorben.
Der neue Ghostwriter macht sich in Langs Domizil vor Long Island an die Arbeit. Erst als es fast zu spät ist, merkt er auf was er sich da eingelassen hat. Mit McGregor und Brosnan drehte Polanski mit „Der Ghostwriter“ einen gediegenen Polit-Thriller, der sich vorzüglich für einen Heimkinoabend eignet, wenn man ihn im Kino verpasst hat. Ebenso wie „A serious man“ und „Shutter Island“. Die drei Filme sind auf DVD bzw. Blu-ray zu Preisen zwischen 10 und 25 Euro zu haben..