Flutwellen und Feuersbrunst sind bei Filmfestspielen in der Regel auf der Leinwand präsent, wenn es darum geht, das menschliche Ausgeliefertsein an die Naturgewalten zu illustrieren. Das ein Festival selbst von „entfesselten“ Naturgewalten heimgesucht wird, kommt dagegen äußerst selten vor. Zu diesen Ausnahmen gehört die 9. Ausgabe des „Festivals des deutschen Films“, die gestern Abend in Ludwigshafen offiziell zu Ende ge-gangen ist. Inoffiziell wird der heutige Montag noch angehängt. Mit dem 50 000 Euro dotierten „Filmkunstpreis“ wurde „Kohlhaas oder die Verhältnismässigkeit der Mittel“ von Aron Lehmann ausgezeichnet. Mit dem Publikumspreis Carolin Genreiths „Die mit dem Bauch tanzen“.
Als Ausgleich für den „Ausfalltag“ nach einem Großbrand in der Nachbarschaft, der den Ablauf des Festivals in Mitleidenschaft gezogen hat. Vor dem Feuer hatte das Hochwasser den traditionellen Standort auf der Parkinsel kurzfristig unbenutzbar gemacht. In einem Kraftakt von Feuerwehr und THW waren die Lokalitäten des Festivals auf das „Festland“ des Luipoldhafens verlegt worden.
Keine schlechte Entscheidung. Im Vergleich zum Vorjahr sind 25% mehr Besucher gekommen. In 18 Tagen waren das 64 000. Gezeigt wurde ein breiter Querschnitt durch die deutsche Filmproduktion der letzten Monate. Wobei die Zahl der Premieren deutlich erhöht wurde – was dem Profil des Filmfestivals erheblichen Mehrwert brachte…
Diesmal also kein „Festival des deutschen Films“ unter alten Platanen und einem Liegestuhl am Rhein in regenfreien Pausen. Dafür das Flair einer mediterranen Lounge an einem Rhein-Seitenkanal. Das hat aber mit Blick auf Bauzaun und marodem Hafenkai einen ganz eigenen urbanen Charme; passt damit zu den meisten Filmen, in denen die vorwiegend jungen Macher versuchen, der zunehmend kälteren und entpersonalisierten Gegenwartsgesellschaft beizukommen.
Selbst die Schwäbische Alb, wo sie am schönsten ist, bietet keine Fluchtpunkte mehr. Das zeigt Tobias Müller nachhaltig in „Sauacker“. In diesem Dokumentarfilm arbeiten sich ein Landwirt und sein Sohn am Rande des Existenzminimums krumm, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Von einem „Grundgehalt“ und einer 36-Stunden-Woche wagen die beiden nicht einmal zu träumen…
Aber auch in der Stadt ist das mit dem Arbeitskampf um faire Löhne so eine Sache, die nur bedingt Aussicht auf Erfolg hat: „Abseitsfalle“ heißt der Film von Stefan Hering, den er für die SWR-Reihe „Debüt im Dritten“ gedreht hat und der in Ludwigshafen uraufgeführt wurde.
Persönliches Engagement und die Gesetze des Marktes. Ebenso wie in „Sauacker“ , geht es in „Abseitsfalle“ und die schiere Existenz. Da ist ein neuer Tonfall im deutschen Film, den man seit den 1970er Jahren und „Rote Fahnen sieht man besser“ nicht mehr gehört hat. Wobei von „Revolution“ heute nicht mehr die Rede ist.
Einem, der trotz allem mit dem Kopf durch die Wand der Verhältnisse wollte, hat Heinrich von Kleist ein literarisches Denkmal gesetzt: „Michael Kohlhaas“. Gleich zwei neue Verfilmungen der Novelle über einen Unangepassten kommen in diesem Jahr auf den Markt: Die aufwändige deutsch-französische Koproduktion mit dem skandinavischen Star Mads Mikkelsen in der Titelrolle und um krampfhafte Werktreue bemüht, ist in Cannes durchgefallen.
Die pfiffige Verfilmung durch den deutschen Nachwuchsregisseur Aron Lehmann ist gestern Abend mit dem „Filmkunstpreis 2013“ des „9. Festival des deutschen Films“ in Ludwigshafen ausgezeichnet worden: „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ ist nicht nur ein Highlight dieses Festivals, sondern des deutschen Films in dieser Saison.
Ein Film im Film und höchst artifizielle Reflektion über die Fährnisse des Filmemachens. Jeder, der sich auf das schwierige Terrain begibt, muss ein Stück vom Kohlhaas in sich tragen. Äußerlich handelt Aron Lehmanns famoser Film davon, wie ein junger ambitionierter Filmemacher ohne Budget den „Michael Kohlhaas“ verfilmen will und dabei dem Helden immer ähnlicher wird. „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ kommt im August in die Kinos.
Allen Widrigkeiten der Natur zum Trotz ist Michael Koetz und seinem Team wieder ein spannendes, auf- und anregendes Festival gelungen. Eine Standortbestimmung des augenblicklichen deutschen Films, wie man sie derart umfassend so schnell nicht wieder findet! Damit lassen sich auch drei Wochen zu einem XXL-Festival machen. Weiter so!