Im Februar Berlin, im Mai Cannes, im August Locarno und im September Venedig: die Jahreszeiten der großen europäischen Filmfestivals. Wobei Locarno zwischen hochsommerlichen Temperaturen und sintflutartigen Regenbrüchen den schwersten Stand hat – wettermäßig, aber auch programmatisch.
Das „Festival del Film“ am Largo Maggiore steht immer ein bisschen im Schatten von Cannes und Venedig. Deshalb war es in der Vergangen-heit klug, aus der Not eine Tugend zu machen und in der Programm-ierung nach unentdeckten Talenten und weißen Flecken auf der cineastischen Landkarte zu suchen. Auf die Gefahr hin, dass sich der Glamour-Faktor in Locarno in Grenzen hält.
Im Gegensatz zu den Konkurrenten zwischen Berlin und Venedig hat die Leitung der Schweizer Filmfestspiele auch noch das größte europäische Open-Air-Kino auf der Piazza Grande von Locarno mit seinen 7000 Plätzen zu programmieren. Das müssen einerseits Filme, die dem Rang eines A-Festivals entsprechen, andererseits aber auch für das größtenteils aus Touristen bestehende Publikum akzeptabel sein. An diesem Spagat ist in der Vergangenheit so mancher Leiter des „Festival del Film Locarno“ gescheitert.
Nach dem der bisherige künstlerische Direktor Frédéric Maire den schwierigen Job in Locarno mit der geruhsameren Leitung der Cinémathèque suisse getauscht hat, wird das Festival in diesem Jahr zum ersten Mal von Olivier Père geleitet. Er war bisher für die Sektion „Quinzaine des réalisateurs“ der Filmfestspiele von Cannes verantwortlich. Hat also Festivalerfahrungen. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an das 63. Festival del Film Locarno, das heute Abend eröffnet wird und bis zum 14. August dauert. In seinem Geleitwort zum Programm schreibt Père:
„Dieses Jahr haben die verschiedenen Festivalsektionen einen gemeinsamen Nenner: Die Filmemacherinnen und Filmemacher sind jung; entweder gehören sie der neuen Generation der internationalen Filmautoren an, oder sie warten mit Erstlingswerken auf – ein Zeichen für die Vitalität des Filmschaffens und für die Offenheit des Festivals für alle Genres und Formen der unabhängigen Produktion“.
Ein erster Blick ins Programm verspricht Ambition. Man kann auf Entdeckungen hoffen. Auf der Piazza nicht weniger Anspruchsvolles von Daniele Luchetti bis Eran Riklis – mit kleinen Ausflügen in die Filmgeschichte. Etwa mit Francesco Rosis selten gezeigtem „Uomini Contro“ von 1970. Anlass ist ein Ehrenleopard für den Regisseur, der einmal den italienischen Film geprägt hat.
Außerdem die seit langem umfangreichste Retrospektive der Filme von Ernst Lubitsch. Darunter auch rare Rekonstruktionen von Werken, die lange als verschollen galten. Allein das lohnt eine Reise an den Largo Maggiore.
Herbert Spaich im Gespräch mit Reinhard Hübsch über das Festival in Locarno und seinen neuen Leiter Olivier Père, SWR Journal, 4.8.2010
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