In Locarno waren in den letzten Tagen der diesjährigen Festivalausgabe Japaner in Kompanie-Stärke unterwegs. Sie hatten mindestens zwei große professionelle Filmkameras dabei. Daran zeigt sich, dass es sich nicht um Touristen auf Fernost handelt, die auf ihrem Europatrip einen Abstecher in den Tessin machen.
Es ist der Begleittross, den der japanische Comedian-Superstar und Nebenbei-Filmemacher Hitoshi Matsumoto im Schlepptau hatte. Er ist auch in Deutschland mit seiner schrägen „Godzilla“-Groteske „Der große Japaner“ bekannt geworden. Gestern Abend fand die Europapremiere seiner abgrundtief bösen Medien-Satire „Saya Zamurai“ auf der „Piazza Grande“ statt.
Zur Stunde werden die diesjährigen Preise vergeben: Da hat die japanische Produktion „Tokio Koen“ von Shinji Aoyama nicht schlecht abgeschnitten. Leer ist dagegen sein Konkurrent mit dem ungewöhnlichen portugiesischen Titel „Saudade/Tristesse“ ausgegangen. Regisseur Katsuya Tomita beschreibt eine Gesellschaft in der Agonie, in der nichts mehr funktioniert.
Die Internationale Jury, zu der auch die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller gehört, hat das mäandernden Zeitgeiststück mit seinen 163 Minuten wohl als zu anstrengend empfunden. Dagegen würdigten sie den Kritiker-Favoriten „Abrir puertas y ventanas“, der argentinisch-schweizerischen Regisseurin Milagros Mumenthaler mit dem „Goldenen Leoparden“ 2011.
Keine schlechte Wahl. Schön und ein wenig elegisch wird davon erzählt, wie drei junge Mädchen den Tod ihrer Großmutter verarbeiten.
Das Thema Trauer und Verlust gewohnter Terrains zog sich ohnehin als „Roter Faden“ durch das Programm der diesjährigen Filmfestspiele. Es geht Filmemachern im Moment ganz wesentlich um Zeiten der Veränderung und des Übergangs.
Sie machen auch den toughen Mitglieder einer Spezialeinheit der Israelischen Polizei zu schaffen. Sie müssen erleben, das sie sich nicht im Fadenkreuz angeblicher arabischer Terroristen befinden, sondern ihrer eigenen Landsleute, die sich militant für einen Ausgleich mit den Palästinensern einsetzen. Sowas führt zu Profilneurosen. Das Werk von Nadav Lapid heißt „Hashoter/Polizisten“ und bekommt „Silber“. Dazu passt die rumänische Innenansicht „Din dragoste cu cele mai bune intentii/Best intentions“ – Adrian Sitaru ist der Preisträger des Regie-Leoparden.
Schade, dass der mit Abstand formal interessanteste Film des diesjährigen „Festival del Film Locarno“ „Crulic“ bei den Preisen übergangen wurde. Dabei fügte Anca Damian damit dem neuen Genre des Animationsdokumentarfilms eine weitere Dimension hinzu.
Hier die Preise im Einzelnen, die die Jury als nur bedingt kreativ erscheinen lassen:
Pardo d’oro:
ABRIR PUERTAS Y VENTANAS (Back to Stay) von Milagros Mumenthaler, Argentinien/Schweiz
Pardo d’oro speciale della giuria:
Shinji Aoyama, für den Film TOKYO KOEN und sein bemerkenswertes Filmschaffen
Premio speciale della giuria (Spezialpreis der Jury):
HASHOTER (Policeman) von Nadav Lapid, Israel
Pardo per la migliore regia (Pardo für die beste Regie):
Adrian Sitaru für DIN DRAGOSTE CU CELE MAI BUNE INTENTII (Best Intentions), Rumänien/Ungarn)
Pardo per la miglior interpretazione femminile (Pardo für die beste Darstellerin):
María Canale für den Film ABRIR PUERTAS Y VENTANAS (Back to Stay) von Milagros Mumenthaler, Argentinien/Schweiz
Pardo per la miglior interpretazione maschile (Pardo für den besten Darsteller):
Bogdan Dumitrache für den Film DIN DRAGOSTE CU CELE MAI BUNE INTENTII (Best Intentions) von Adrian Sitaru, Rumänien/Ungarn
Besondere Erwähnung:
UN AMOUR DE JEUNESSE (Goodbye First Love) von Mia Hansen-Løve, Frankreich/Deutschland
Dazu kommen noch diverse Preise für Filme der Nebenreihen (siehe www.pardo.ch)
Das Konzept des künstlerischen Festivaldirektors Olivier Pére – Entdeckungen im Wettbewerb/Promis und Sommerunterhaltung auf der Piazza – hat sich bewährt. So vielen prominenten Gästen wie in diesem Jahr, konnte man schon lange nicht mehr in Locarno begegnen.
Dabei waren Senioren eindeutig in der Überzahl: Von Leslie Caron, über Harrison Ford bis zu Gérard Depardieu, der noch einmal kräftig zugelegt hat und Claudia Cardinale, die einen Ehrenpreis reiste an, um bei einer Extravorführung von Fellinis „8 ½“ anwesend sein.
Das „Festival del Film Locarno“ fand wieder mit jener selbstverständlichen schweizerischen Noblesse statt – ohne großes Tamtam. Damit hat sich Locarno einen eigenen Stil und eine äußerst charmante Atmosphäre geschaffen – mit der weder Berlin, noch das chaotische Venedig und vor allem der Moloch Cannes nicht mithalten können. Ich freue mich aufs nächste Jahr!