Eric Rohmer hat ein stilistisch unverkennbares, in sich geschlossenes Oevre hinterlassen, als er Anfang dieses Jahres im Alter von knapp 90 Jahren starb. Arthaus-Kinowelt pflegt seit Jahren eine DVD-Werkaus-gabe des Regisseurs, der wie kaum ein anderer den modernen Autoren-film in Europa geprägt hat. Jetzt wurde der Veröffentlichung der „Contes des quatre saisons/Erzählungen der vier Jahreszeiten“ eine weitere Lücke geschlossen.
Eric Rohmer hat seinen Jahreszeiten-Zyklus zwischen 1990 und 1998 gedreht. Obwohl er sich dabei nicht chronologisch in der Abfolge der Jahreszeiten hielt und dazwischen andere Filme drehte, folgen die vier „Erzählungen“ letztlich doch einem klaren dramaturgischen Konzept. Die DVD-Edition ermöglicht nun, sich mit Rohmer auf die Reise durch die äußeren und inneren Befindlichkeiten im Ablauf eines Jahres zu machen. Obwohl die vier Filme in der Besetzung der Rollen und den Orten der Handlung keine Gemeinsamkeiten aufweisen, verbindet sie doch die Grundlinien der Handlung und diskrete Verweise auf die ganz spezielle Atmosphäre, die den Unterschied der einzelnen Jahreszeiten ausmachen:
Conte de printemps:
Frühling in Paris: Die Philosophie-Lehrerin Jeanne fühlt sich heimatlos. Die eigene Wohnung hat sie ihrer lebenslustigen Cousine zur Verfügung gestellt, die gerade für ein Praktikum in der Stadt lebt. Im Ausweichquartier, das einem dienstlich abwesenden Freund gehört, fühlt sich Jeanne unwohl. Auf einer Party lernt sie die Musikstudentin Natascha kennen, die ihr spontan anbietet, vorübergehend mit ihr die Wohnung zu teilen.
Die erste Überraschung erlebt Jeanne am nächsten Morgen, als sie nur spärlich bekleidet, die Bekanntschaft mit Nataschas Vater Igor macht. Der lebt vorwiegend bei einer Freundin, die von Natascha abgelehnt wird. Zunächst befremdet, dann nicht uninteressiert nimmt Jeanne zur Kenntnis, dass Natascha versucht, sie mit Igor zu verkuppeln.
Während die Tage länger und das Wetter besser wird, beschreibt Eric Rohmer in „Conte de printemps/Frühlingserzählung“ vom Aufbruch, aber auch von der Ambivalenz der Gefühle. Diese „Frühlingsgefühle“ haben zwar etwas von Aufbruch in sich, sind aber mit Vorsicht zu genießen.
Conte d’ètè: Sommerzeit ist für Viele gleichbedeutend mit Urlaubszeit. Sie hat zu zweit wesentlich mehr Reiz als allein. Diese Erfahrung macht der schüchterne Mathematikstudent Gaspard in „Conte d’été/Sommererzählung“. Er ist an die See vorausgefahren. Freundin Lena will nachkommen. Lässt sich damit aber Zeit. Am Strand begegnet Gaspard der kessen Margot.
Nach der Frühlingsstimmung jetzt der Sommer. Wobei Eric Rohmer hier den französischen Begriff „Vacances“ reflektierte: das heißt übersetzt sowohl „Ferien“, als auch „Leerstellen“. Gaspard befindet sich in einem gefühlsmäßigen Vakuum und in der ferienmäßigen Ausnahmesituation. In dieses Gefühlschaos platzt nicht nur Margot, sondern auch noch die kapriziöse Solene, von der sich der junge Mann angezogen fühlt.
„Conte d’été“ ist ein liebenswerter Film über die schwierigen Gefühlswelten junger Leute. Mit großer Sensibilität fand dafür Eric Rohmer einen einzigartigen Ausdruck. Darüber vergisst man, dass es sich bei seinen Filmen nicht um Improvisationen, sondern um bis in kleinste Details durchkomponierte Inszenierungen handelt.
Bei „Conte d’automne“ spürt man als Zuschauer bereits vom ersten Moment an die Herbstatmosphäre, den Moment, wenn sich der Sommer verabschiedet. Rohmer hat mit der Cote du Rhone dafür auch ein ent-sprechendes Ambiente gewählt: Magali ist älter, Witwe und immer noch sehr attraktiv. Die Kinder sind aus dem Haus – sie bewirtschaftet ihren Weinberg und nach eigenem Gusto allein.
Freundin Isabelle ist der Meinung, dass Magali einen neuen Partner braucht. Diese Ansicht teilt Rosine, die Freundin von Magalis Sohn. Die beiden sind gerade zu Besuch. Rosine hätte ihren Ex-Lover abzugeben – einen Mann in reiferen Jahren.
Auch in der „Herbstgeschichte“ geht es also um das Spiel mit Beziehungen, unterdrückten bzw. verdrängten Wünschen und der Hoffnung auf Partnerschaft und Liebe. Schöner wie in diesem Film lässt sich das im „Herbst des Lebens“ nicht beschreiben…
„Conte d’hiver“ war Rohmer selbst der liebste Film aus dem Zyklus der „Contes des quatre saisons“: Wieder Paris: Félicie und Charles haben sich im Urlaub kennen und lieben gelernt. Dummerweise geht beim Abschied der Austausch der Adressen schief.
Leider hat die Urlaubsbekanntschaft Folgen: Félicie wird schwanger und schließlich Mutter einer Tochter. Neuen Männerbekanntschaften verwei-gert sie sich, denn sie wartet auf den Einen, den einzigartigen Charles. Es besteht allerdings kaum Aussichten, ihn jemals wieder zu sehen. Doch dann geschieht in der Metro eines Tages in der Vorweihnachtszeit ein Wunder.
Eric Rohmer gestattete sich zum Abschluss seiner „Erzählungen der vier Jahreszeiten“ ein Happy End. Wie bereits erwähnt, hat der Regisseur seine Filme auf Punkt genau inszeniert. Dabei spielt auch der Umgang mit der französischen Sprache eine wesentliche Rolle. Leider waren Rohmers Filme – auch die der vier Jahreszeiten – immer nur deutsch synchronisiert in den Kinos zu sehen: bei dieser sorgfältigen DVD-Edition kann man die Filme auch im Original – mit oder ohne Untertitel – genießen.
Im Rahmen der vorzüglichen Eric Rohmer-Werkausgabe auf DVD von Arthaus-Kinowelt wurde mit der Veröffentlichung „Der Erzählungen der vier Jahreszeiten“ eine Lücke geschlossen. Der Edition liegt ein aus-führliches Booklet bei. Sie kostet 37 Euro.