1808 hat Heinrich von Kleist mit der Novelle „Michael Kohlhaas“ eines seiner Hauptwerke veröffentlicht. Die komplizierte Geschichte eines Rosshändlers, der an seinem Versuch scheitert, Ideal und Wirklichkeit in Einklang zu bringen, ist ein beliebter Stoff für den Deutschunterricht, auch in Frankreich. Nach Goethe ist Kleist den Franzosen der liebste deutsche Klassiker. Von Volker Schlöndorff 1969 mit David Warner bis zu einer schwäbischen Schulklasse mit Playmobil-Männchen ist „Michael Kohlhaas“ mehrfach in Deutschland verfilmt worden. Mit eher mäßigem Erfolg. Gestern hat nun eine französische Adaption (als Koproduktion mit deutschen Partnern) bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere. Regie führte Arnaud des Pallières, der sich in Frankreich mit seinen Film-Essays über Gilles Deleuze und Gertrude Stein einen Namen gemacht hat…
Vor langer, langer Zeit lebte in den Cevennen im Süden Frankreichs ein reicher Pferdezüchter glücklich und zufrieden. Er hieß Michael Kohlhaas – ein ungewöhnlicher Name für diese Gegend. Ein freier Mann in jeder Beziehung: wenn Herr Kohlhaas Nächtens seinen ehelichen Pflichten gegenüber Frau Kohlhaas nachkommt, dann sieht das aufgeweckte Töchterlein zu und fragt: „Macht ihr Liebe“? Wo Zeugung ist, darf auch die Geburt nicht fehlen. So werden wir in Echtzeit Zeuge, wie ein Pferd ein Fohlen zur Welt bringt. Das steht so nicht bei Kleist; zeigt aber, das Regisseur Arnaud des Pallières seine Sozialisation bei den 68ern erlebt hat. Frei geht er also mit der literarischen Vorlage um.
Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob Hohenlohe oder Südfrankreich – Wald ist schließlich Wald und da ist der Michael Kohlhaas in dieser Neuverfilmung viel unterwegs. Im dunklen Forst passiert dann auch die dumme Geschichte mit dem Passierschein und Pferden als Pfand.
Wie bei Kleist bekommt sie Kohlhaas ziemlich ramponiert zurück, was ihn zu Recht erbost.Die Obrigkeit reizt den Untertanen weiter. Als dann noch die um Vermittlung bemühte Gattin Schaden nimmt, sieht der Mann rot…
Kohlhaas zieht in den Privatkrieg – der diesmal mit Armbrüsten ausgetragen wird. Ziemlich effektiv, Blut fließt in Strömen. Zwar lässt der immer noch wackere Kohlhaas einen der Seinen aufknüpfen, der es besonders arg getrieben hat, aber das macht die Sache auch nicht besser. Deshalb kommt das bei Kleist so auch nicht vor.
Dafür kommt ein geistlicher Herr des Wegs, der Kohlhaas eine moralische Standpauke hält. Luther ist es nicht, denn der kam nicht bis Südfrankreich. Das konnte sich der Regisseur zumindest merken!
Umweht vom Hauch des französischen Strukturalismus irrt Arnaud des Pallières bei seiner Adaption ebenso verwirrt durch die Kleist’sche Novelle, wie sein „Don Quijote rigoroser bürgerlicher Moralität“ – wie es Ernst Bloch einmal ausdrückte – durch die Wälder und die Auen.
Dabei entwickelt Titeldarsteller Mad Mikkelsen in etwa so viel mediale Ausstrahlung wie die Playmobil-Männchen in dem Schüler-Video des „Kohlhaas“, das es im Internet immerhin zu beträchtlicher Popularität gebracht hat. Darüber hätte sich Heinrich von Kleist vermutlich gefreut; angesichts von des Pallières Verfilmung aber ein zweites Mal erschossen.
Über die Auftritte von Bruno Ganz und David Bennent in diesem Unglück von Film schweigt ohnehin des Sängers Höflichkeit…
Gegen Ende der Filmfestspiele von Cannes kommen wohl die „faulen Eier“ aufs Tapet: neben „Michael Kohlhaas“ enttäuschte „The Immigrant“ von James Gray und ganz besonders Jim Jarmusch mit seinem wirren Ausflug in den Vampirfilm „Only lovers left alive“. Da sieht man Polanskis „Venus im Pelz“ am heutigen Samstag mit gemischten Gefühlen entgegen….
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