Eigentlich gibt es zu den Verbrechen des NS-Regimes nichts Neues mehr zu sagen – sollte man nach 60 Jahren denken. Und doch sind es die nach und nach auftauchenden Details, die die Wirklichkeit der Verhältnisse unter dem Hakenkreuz noch deutlicher machen. Dazu gehören drei DVDs die in letzter Zeit erschienen sind. Allesamt DVD-Premieren.
Fröhliches Wandern durch deutsche Lande: während NS-Diktatur wurden Filme dieser Art für jede Gelegenheit gedreht. Man nannte sie Kulturfilme und sie waren für das erbauliche Vorprogramm in den Kinos gedacht. Die „Kulturfilme“ waren betont unpolitisch gehalten. NS-Symbole oder der Hitlergruß kamen nur beiläufig vor. Das Erziehungsziel war Normalität vorzutäuschen. Eingebettet in Wald-und Wiesenfilme wurde der Ungeist des Regimes unter der Hand gereicht. Die anschließende Wochenschau machte den Geist der Zeit dann deutlicher.
Nach 1945 verschwand das Meiste davon in den Archiven. Zu Recht. Allerdings geben sie einen aufschlussreichen Einblick in die raffinierte Verführung eines ganzen Volkes zu den verbrecherischen Zielen der NS-Ideologie. Als einer der ersten verdichtete Philippe Mora in „Swastika“ die NS-Archivaufnahmen zu einer Dokumentation des gewöhnlichen Faschismus. Bei seiner Uraufführung während der Filmfestspiele von Cannes 1973 löste „Swastika“ einen Skandal aus.
Jetzt ist der Film auf DVD zum ersten Mal in Deutschland zu sehen. Eine Veröffentlichung von Absolut Medien. Heute ist allgemein bekannt, das Eva Braun gerne filmte. Erhalten sind vor allem ihre Impressionen von der Sommerfrische auf dem Obersalzberg, des Führers Ferienresidenz… Damals wurden die Aufnahmen zum erstenmal präsentiert. Der Brandstifter als Biedermann:
Hitler und seine Paladine – in Farbe auf amerikanischem Filmmaterial. Entspannte Ferienstimmung bei Kaffee und Kuchen, tollenden Hunden. Albert Speers Kinder planschen auf der Terrasse. Behutsam nachsynchronisiert, bilden diese Vorläufer des Heimvideos den Kontrapunkt zu den offiziellen Propagandafilmen.
Biederste Scheinrealität hier wie dort. Ihre unkommentierte Präsentation wurde vor 40 Jahren als ungehörig und den Opfern des NS-Regimes als nicht angemessen empfunden. Heute können wir damit eher umgehen. Zu den Extras der verdienstvollen DVD gehören diverse Dokumentationen – unter anderem über Eva Brauns Privatfilme und ihre Wiederentdeckung nach 1945. Sie waren natürlich nie für die Öffentlichkeit bestimmt.
Szenenwechsel: Im Mai 1942 filmte ein Kamerateam in offiziellem Auftrag im Warschauer Ghetto. Das Material ist um 1960 in der damaligen DDR entdeckt worden. Welchem Zweck es dienen sollte und warum die Dreharbeiten nach kurzer Zeit abgebrochen wurden – ist bis heute ungeklärt.
Im Rahmen einer internationalen Koproduktion – an der auch der SWR beteiligt ist – machte sich die israelische Filme-macherin Yael Hersonski an die Arbeit, die Hintergründe des sogenannten „Ghetto-Projekts“ zu erforschen.
Yael Hersonski hat Zeitzeugen ausfindig gemacht, die sich an die Dreharbeiten erinnern können. Außerdem zitiert sie aus Verhörprotokoll von einem der deutschen Kameramänner. Dessen Erinnerungsvermögen hat allerdings Lücken, wie häufig in solchen Fällen…
Außerdem belegen erhalten gebliebene Aufzeichnungen von Ghettobewohnern, dass viele der Aufnahmen regelrecht inszeniert wurden. Gerade im direkten Zusammenhang mit „Swastika“ ist die Dokumentation „Geheimsache Ghettofilm“ ein erschütterndes Beispiel für die Menschenverachtung des NS-Regimes, das seine Opfer vor ihrer Ermordung auch noch filmen ließ. Die DVD ist ebenfalls bei Absolut Medien erschienen.
Im Frühjahr 1945 war es dann vorbei mit Sang und Klang durch Wald und Flur und markiger Propaganda. Die ersten Aufnahmen von einer zerbombten Großstadt, in der der Schutt der jüngsten Vergangenheit weggeräumt wird, drehte der Kulturjournalist Willi Cronauer bereits im Juni 1945 in München. Die Bilder der Ruinen sind stumm und gehören zum Bonusteil der in der Edition Filmmuseum erschienenen Veröffentlichung des Films „Zwischen gestern und morgen“, den Harald Braun 1947 unter anderem vor Ort in München gedreht hat.
Die erste Nachkriegsproduktion in der amerikanischen Besatzungszone. Über die Dreharbeiten berichtete die Wochenschau „Welt im Film“. Nachzusehen im Bonusteil der DVD.
„Zwischen gestern und morgen“ ist ein Schlüsselwerk der deutschen Filmgeschichte, weil er wie kaum ein anderer Film der Zeit, die Gefühle der Menschen zum Ausdruck bring. In diesem verlegenen Akt der Selbstentnazifizierung spielt ausgerechnet der Film-Beau des NS-Films, Viktor de Kowa, einen Verfolgten des NS-Regimes, der nach 1945 aus dem Schweizer Exil nach München zurückkehrt, um die Liebe seines Lebens wiederzufinden.
Misstrauen, Missverständnisse: alle sind Opfer. Aber es muss einen neuen Anfang geben. Regisseur Braun war von Haus aus Theologe, der allerdings seine Regie-Karriere ebenfalls vor 1945 begonnen hatte. Die neue Zeit verkörpert – wie bereits ein Jahr vorher im ersten deutschen Nachkriegsfilm „Die Mörder sind unter uns“, Hildegard Knef. Wobei die Schauspielerin vor 1945 keine Berührungsängste – im wahrsten Sinne des Wortes – zu den Repräsentanten des Regimes hatte.
Innenansichten des NS-Regimes und kurz danach – auf DVD: „Swastika“ und „Geheimsache Ghettofilm“ sind bei Absolut Medien erschienen, „München 45“ & „Zwischen gestern und morgen“ in der Edition Filmmuseum. Sie kosten jeweils rund 20 Euro.