Diogenes Verlag
256 Seiten
ISBN 10 – 325706781X -€21.90
Die Sonne scheint von einem wolkenlosen Himmel, das Meer hat dieselbe Farbe wie auf dem Cover-Bild von Dörries „Alles inklusive“. Wobei es sich dabei wohl um ein Pool handelt. Die ideale Urlaubs-lektüre für Fuerteventura. Obwohl Dörrie ihre Geschichte eines mediteranen Alptraums an der Costa del Sol/Torremolinos verortet hat.
Die horroreske Szenerie für Pauschalurlauber lässt Ingrid und Apple ein Leben lang nicht los. Mehr schlecht als recht versuchte Ingrid als sie noch jung und knackig war (im weißen Bikini) in den 1970ern an Spaniens Sonnenküste den damals angesagten „Hippie“-Lebensstil zu praktizieren – mit Freier Liebe und allem was dazu gehört.
Völlig losgelöst von den Fesseln der bürgerlichen Konventionen hat Ingrid ihre Tochter „Apple“ genannt. Damals war das unkonventionell, heute muss sie die Ärmste ständig erklären, warum sie wie eine Computerfirma heißt. Eines der vielen hübschen Details, die Dörries Roman zur erfreulichen Lektüre machen: „Alles inklusive“ gehört zu ihren besten Arbeiten.
Wie sie versiert von Kapitel zu Kapitel zwischen Vergangenheit und Gegenwart wechselt, verweist auf die Filmemacherin Dörrie. Das kann sich für den Leser als strapaziöser Kunstgriff erweisen. Aber hier gelingt es der Autorin elegant die Handlungsfäden zu bündeln, um sie sich dann wieder verzweigen zu lassen. In der Art einer Filmmontage.
Apple leidet selbst in reiferen Jahren noch unter dem Trauma ihrer Laissez faire-Hippie-Kindheit im Zelt an der Costa del Sol und Mutters wechselnden Liebschaften. Da saß die kleine Apple dann und sollte die Haushaltskasse mit Selbstgebasteltem aufbessern. Mit mäßigem Erfolg.
Das lockere Leben ist auch an Mutter Ingrid nicht spurlos vorbei gegangen. Im Alter kränkelt sie, trauert verpaßten Chancen nach – und die neue Hüfte macht Beschwerden. So viel ist im Leben danebengegangen. Ein bisschen Bosheit war deshalb schon dabei, dass ihr Apple eine All inclusiv-Pauschalreise nach Torremolinos schenkt. Da werden Erinnerungen wach. Zum Beispiele an die Affäre mit dem zutiefst bürgerlichen Rolf und die damit zusammen hängende Zerstörung seiner Ehe. Gattin Heike hat sich später umgebracht.
Rolf lebt inzwischen in einem Altersheim von Torremolinos. Aus Sohn Timo ist Tina geworden, der/die ihren Lebensunterhalt in der Kosmetikbranche verdient. Tina und Ingrid freunden sich an. Eines Tages wird Ingrid beklaut, weil sie die Welt einmal wieder falsch eingeschätzt hat: „Scheiße, sagt Ingrid. Scheiße, Scheiße, Scheiße. Was ist sie nur für eine bescheuerte, treudoofe Tante. Sie muss Apple anrufen, sie um Hilfe bitten, sich von ihr Geld schicken lassen, vom Konsulat einen provisorischen Plan ausstellen lassen, wahrscheinlich muss sie sogar länger hierbleiben. Oh Gott, stöhnte sie, wie kann man nur so bekloppt sein…“
Ähnlich wie Ingrid geht es auch den Anderen in „Alles inklusive“. Das, was man Schicksal nennt, kennt kein Erbarmen. Der Mann von Apples Freundin Susi überwindet zwar seine schwere Krankheit, aber entdeckt geheilt seine Homosexualität. Sie darf zusehen, wie er in Ibiza knackige Knaben anbaggert.
Das Schöne an Dörries Schilderung der Mühselig und Beladenen ist die ganz diskrete Ironie, mit der sie das macht.. Dabei schwingt ebenso diskret Trauer über die vergeblichen Anstrengungen mit, dieses komplizierte Leben in den Griff zu bekommen.
In einem Interview mit dem „Spiegel“ antwortete Doris Dörrie auf die Frage „Fehlt Ihnen der Mut zur Tragödie?“:
„Nein ich möchte unterhalten! Nicht langweilen. Ob eher traurig oder komisch – es sind andere, die auf alles was ich mache, immer Komödie draufschreiben. Weil sich das halt gut verkauft oder weil es ab und zu mal was zu lachen gibt. Ich habe mich dagegen immer gewehrt, auch der Film ‚Männer‘ war für mich keine Komödie. Ich würde mich solchen Bezeichnungen gerne verweigern.“
Dieses Camouflieren zwischen dem Tragischen und dem Komischen praktiziert Doris Dörrie von jeher – beim Schreiben, Filmen und Opern inszenieren. Ganz besonders schön ist ihr das bei „Alles inklusive“ gelungen. Ihr neuer Film heißt „Glück“ und soll Februar in die Kinos kommen… Es wird sich dabei – so darf man erwarten – um kein ungetrübtes Glück handeln. Denn ss handelt sich dabei um die Verfilmung einer Erzählung aus Ferdinand von Schirachs Buch „Verbrechen“. Zum ersten Mal die Adaption eines fremden Stoffes. Dörrie auf neuen Wegen! Da darf man sich freuen!