Deutschland/Schweiz/Russland 2013
Regie: Milo Rau
Kinostart: 20. März 2014
Brisante Themen der Zeitgeschichte mit den Mitteln des Theaters darzustellen, haben eine lange Tradition; nach dem Zweiten Weltkrieg sind es vor allem die dokumentarischen Stücke von Peter Weiß und Rolf Hochhuth, die das Genre neu beleben. Gegenwärtig ist es der Schweizer Film-und Theatermacher Milo Rau, der sich der Möglichkeiten des dokumentarischen Theaters bedient. Nach seiner Beschäftigung mit dem Ende des Ceausescu-Regimes, sorgte Rau im vergangenen Jahr für internationales Aufsehen, als er sich in „Die Moskauer Prozesse“ in Moskau mit der Kulturpolitik Putins mit Laien auf die Bühne brachte, in dem er drei exemplarische Schauprozesse des letzten Jahrzehnts nachinszenierte. Diese Woche startet der Film „Die Moskauer Prozesse“ in den deutschen Kinos, der das Projekt und seine mehrfache Unterbrechung durch den langen Arm des Regimes dokumentiert…
Die Punk-Gruppe „Pussy Riot“: Mitglieder der Band haben in der Moskauer „Erlöserkathedrale“ gegen die ihrer Meinung nach un-heilige Allianz zwischen der Kirche und dem Putin-Regime protestiert. In einem Schauprozess wurden die Aktivistinnen zu zwei Jahren Haft verurteilt. Der Schweizer Regisseur Milo Rau hat sich mit gewagten Theaterprojekten einen Namen gemacht: In Weimar brachte er die Verteidigungsrede des norwegischen Attentäters Anders Breivik auf die Bühne.
Der Pussy-Riot-Prozess ist für ihn der vorläufige Höhepunkt der Strategie Putins, kritische Intellektuelle mundtot zu machen. Rau macht das an zwei weiteren politischen Prozessen deutlich, die im Ausland weniger Aufsehen erregt haben: Sie richteten sich vor zehn Jahren gegen die regimekritischen Ausstellungen „Vorsicht! Religion“ und „Verbotene Kunst“.
Um die Staatsdoktrin durchzusetzen, sind dem Regime alle Mittel recht. Zum psychischen Terror kommt physische Gewalt. Das kennt der russische, augenblicklich in Berlin lebende Philosoph Michail Ryklin aus eigener Erfahrung.Seine Frau Anna Altshuk war eine der Kuratorinnen der Ausstellung „Vorsicht! Religion“. Sie wurde von den russischen Behörden derart unter Druck gesetzt, dass sie Selbstmord beging.
Unter anderem mit Hilfe von Michail Ryklin wagte sich Milo Rau an sein riskantes Theaterprojekt „Die Moskauer Prozesse“. Dafür verpflichtete er keine professionellen Schauspieler, sondern mehr oder weniger prominente rechte wie linke Moskauer Intellektuelle. Einen repräsentativen Querschnitt durch die Russische Bevölkerung.
Im Kino wird das abgefilmte Theater-Experiment zur gespenstischen Veranstaltung; ein Blick in Abgründe, die man längst überwunden glaubte. Von Freiheit der Kunst ist nicht einmal ansatzweise die Rede. Das Projekt „Die Moskauer Prozesse“ illustriert anschaulich, wie es dem ehemaligen KGB-Agenten Putin gelungen ist, seine Macht im Staate dank eines Schulterschlusses mit nationalistischen und extrem orthodoxen Kreisen zu festigen.
Das bedeutet: Wer nicht den Richtlinien einer regimetreuen, russisch-orthodoxen Staatskunst folgt, gerät automatisch ins Visier eines repressiven Systems, in dem Justiz, Geheimdienst und Medien eng zusammen arbeiten. Deshalb bleibt Milo Raus Theater-Aktion auch nicht dem langen Arm der Staatsraison verborgen, obwohl er sie ursprünglich unter Ausschluss der Öffentlichkeit begonnen hat. Zwar darf er als Schweizer Staatsbürger die Stücke zu Ende führen, aber die Wiedereinreise nach Russland wird ihm verweigert. „Die Moskauer Prozesse“ vermitteln ein bedrückendes Bild von einem Staatswesen, in dem „Liberalität“ und „Toleranz“ nahezu unbekannte Begriffe sind. Ein unerfreulicher, aber umso wichtigerer Film!