„L’Enfer/Die Hölle“ sollte nicht nur sein Opus Magnum, sondern Filmgeschichte machen. Mit dieser Absicht hatte Henri-Georges Clouzot (1907-1977) 1964 mit den Vorbereitungen begonnen. Das neue Werk sollte seine Welterfolge „Lohn der Angst“ (1952) und „Die Teuflischen“ (1955) übertreffen.
„L’Enfer“ ist die Geschichte einer Eifersucht, die sich im Laufe des Films in den Wahnsinn einer Obsession steigert, erzählt in einer völlig neuen filmischen Ausdrucksweise. Dafür stand Clouzot ein Budget in unbegrenzter Höhe zur Verfügung.
Ein Mann (Serge Reggiani) glaubt, dass seine Frau (Romy Schneider) ihn betrügt. In seiner Eifersucht verliert er nach und nach den Boden unter den Füssen und den Bezug zur Wirklichkeit. Um diesen Prozess des Verfalls einer Persönlichkeit glaubhaft zu machen, lud Clouzot bildende Künstler der Avantgarde ein, eigene Ideen in das visuelle Konzept des Films einzubringen.
Vor allem mit Romy Schneider, aber auch die beiden männlichen Hauptdarsteller Serge Reggiani und Jacques Gamblin mussten endlose Probeaufnahmen durchstehen. Während Romy Schneider das Ganze als Herausforderung betrachtete, brach Reggiani unter dem von Clouzot ausgeübten Druck zusammen – inzwischen hatten die eigentlichen Dreharbeiten begonnen. Seine Rolle des eifersüchtigen Ehemanns sollte von Jean-Louis Trintignant übernommen werden.
Aber dazu kam es nicht, Henri-Georges Clouzot erlitt einen Herzinfarkt: die Dreharbeiten wurden abgebrochen und nie wieder aufgenommen. Der Regisseur konnte bis zu seinem Tod 1977 nur noch einen weiteren Film („Seine Gefangene“) realisieren.
Unklarheiten in der Rechtslage und ein Bündel weiterer Unwegsamkeiten führten dazu, dass das Filmmaterial und eine angeblich im Rohschnitt von Clouzot hergestellte Fassung in den Archiven verschwanden und das Projekt zu einem tragischen Mythos machten.
2005 bekam der Filmhistoriker, Produzent und Festivalmacher Serge Bromberg durch ein Zusammentreffen glücklicher Umstände Zugang zu 15 Stunden Filmmaterial von „L’Enfer“. Allerdings ohne Ton. Die angebliche Rohfassung ist nach wie vor verschollen.
An Hand des Drehbuchs und teilweise nach gedrehten Szenen machte Bromberg den Versuch einer teilweisen Rekonstruktion des Films und der chaotischen Dreharbeiten.
Daraus entstand eine 90minütige Dokumentation, die im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen von Cannes für Aufsehen sorgte: „L’Enfer d’Henri Georges Clouzot“ vermittelt einen aufregenden Einblick in das ehrgeizige Projekt. Mit Bildern, die man so noch nie gesehen hat.
Brombergs Film wurde als DVD-Premiere in der Reihe Arthaus Premium von Kinowelt als aufwendige 2er Digipak veröffentlicht (Preis: 18€.) Disc 2 enthält als Ergänzung Clouzots letzten Film „La Prissoniére/Seine Gefangene“ (1968), mit dem er ein ähnliches Regiekonzept wie bei „L’Enfer“ umzusetzen versuchte. Auch dies ein Werk, das die Ent-deckung lohnt. Dazu gibt es noch diverse Extras und ein ausführliches Booklet, in dem Serge Bromberg schreibt:
„Ein unvollendeter und unsichtbarer Film, ein rätselhaftes, unwahr-scheinliches Meisterwerk. Das war wie eine Herausforderung, fast ein Spiel, und ich nahm mir an jenem Tag vor, mich auf die Suche nach den Filmbüchsen zu machen, die wir für verloren hielten. (…) Ich beschloss, die Zeugen aufzusuchen. Ich musste die Geschichte kennen lernen, um sie besser erzählen zu können. Ich wusste damals noch nicht, dass sie uns bis heute, nach drei Jahren Recherche, teilweise verborgen bleiben würde. Clouzot hatte ein seltsames Labyrinth gezeichnet, dessen Ausgang ich nicht kannte.“
Ergänzend zur DVD-Veröffentlichung ist bei Schirmer/Mosel ein exquisiter Text- und Bildband zur Wiederentdeckung der Aufnahmen zu Clouzots „L’Enfer“ erschienen: „Romy – Die unveröffentlichten Bilder aus Inferno/L’Enfer“. Texte von Serge Bromberg. 160 Seiten mit 198 Abb. In Farbe und Duotone, Preis: 29.90€.
Es geht in dem Buch natürlich nicht nur um Romy, sondern um das Gesamtprojekt, gewissermaßen um den mit Standbildern ergänzten Text der Dokumentation. Wobei darüber spekuliert werden kann, wie Romy Schneiders Karriere wohl verlaufen wäre, hätte Clouzot „L’Enfer“ vollenden können. So ergänzen sich Buch und Film hier auf eine besonders glückliche Art und Weise.
Bereits vor längerer Zeit bei Concorde Home Entertainment ist der Film „Die Hölle/L’Enfer“ auf DVD erschienen, den Claude Chabrol 1994 auf der Grundlage von Clouzots Drehbuch inszenierte. Ohne natürlich das ursprüngliche Material zu kennen. Chabrol ersetzte das Experimentelle durch Eiseskälte und einen reduzierten filmischen Ausdruck.
Durch die jetzt mögliche Kenntnis des visuellen Konzepts Clouzots durch Brombergs Dokumentation bekommt Chabrols Adaption des Scripts eine neue Dimension. Ein spannender Exkurs in Sachen Filmgeschichte…