„A lullaby of the sorrowful mystery“ – der neue Film von Lav Diaz
Jetzt ist er also auch im Hauptprogramm der Berlinale, nachdem er bisher „nur“ im „Forum“ präsent war. Dafür aber bei nahezu allen großen Filmfestspielen für Aufsehen sorgte. Der philippinische Regisseur Lav Diaz gehört zu den ganz großen des gegenwärtigen Weltkinos. Vor zwei Jahren gewann Diaz mit „Von dem was war“ in Locarno den „Goldenen Leoparden“. Zu Diaz Markenzeichen gehört, dass er vorzugsweise in Schwarz-weiß dreht und die Zeitvorgaben des Kinos konsequent ignoriert.
Sein neuer Film dauert acht Stunden, der davor sechs und seine Innenansicht einer Familie unter der Marcos-Diktatur „Melancholia“ elf Stunden. Weil es sich bei Diaz eben um einen genialen Cineasten handelt, ist in seinen Filmen keine Minute überflüssig, ziehen einen seine schwarz-weiß-Bilder im klassischen Academie-Format 4:3 mit magischer Gewalt in ihren Bann.
Wie immer ist Diaz dabei in der Geschichte der Philippinen unterwegs. Diesmal gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als sich das Inselreich von den spanischen Kolonialherren zu befreien versuchte und sich dabei einem Bürgerkrieg verschliss. Eine bittere Odyssee zur Freiheit. Mit höchster Raffinesse verbindet Diaz dabei die komplizierte historische Gemengelage um den Revolutionär Andreas Bonifacio mit einem kühnen dramaturgischen Wurf, der an eine antike Tragödie erinnert. Und das betrifft dann auch nicht mehr allein die Philippinen, sondern uns und die Gegenwart.
Das imposante „Wiegenlied über ein trauriges Geheimnis“ ist der beste Film der diesjährigen Berlinale. Allerdings wird er kaum den „Goldenen Bären“ bekommen. Aus einem simplen Grund, wie mein Kollege Rodek von der „Welt“ treffend feststellte: der Gewinnerfilm wird nämlich immer nach der Preisverleihung dem Gala-Publium (bestehend aus den Sponsoren und ihren Gattinnen sowie VIPs der unterschiedlichsten Provenienz) gezeigt. Die wären von acht Stunden schwarzweiß und Tagalog mit deutschen Untertiteln völlig überfordert. Das werden auch Frau Streep und ihr Jury-KollegenInnen verstehen….