Kanada 2010
Originaltitel: Incendies
Regie: Denis Villeneuve
Mit Lubna Azabal, Mélissa Désormeaux-Poulin, Maxim Gaudette, Rémy Girard
Kinostart: 23. Juni 2011
Zwischen 1975 und 1990 wurde der Libanon von einem der brutalsten Bürgerkriege der jüngeren Geschichte erschüttert. Wobei sich die Grenzen zwischen Freund und Feind verwischten, die Fronten quer durch die Familien verliefen. Linke, rechte, muslimische und christliche Gruppierung bekämpften sich – vielfach gesteuert von ausländischen Interessen. Israel und Jordanien beteiligten sich ebenso daran wie die USA und mehrere europäische Staaten. Um die unverheilten seelischen Wunden dieses Krieges geht es in dem kanadischen Film „Icendies/Die Frau die singt“ von Denis Villeneuve, der diese Woche in Deutschland startet. Die Verfilmung des Theaterstücks von Wajdi Mouawad, das auch auf mehreren deutschen Bühnen (Nürnberg, Göttingen, Bonn) aufgeführt wurde, ist bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet und für den Oscar als bester fremdsprachiger Film 2011 nominiert worden.
Die Libanesin Nawal Marwan (Lubna Azabal)ist mit ihren zwei Kindern, Zwillingen, aus dem Bürgerkrieg in ihrem Heimatland nach Kanada geflohen und sich als Sekretärin des Notars Jean Lebel (Rémy Girard) eine neue Existenz aufgebaut. Sie hat nie viel gesprochen, schon gar nicht über ihre Vergangenheit. Jetzt ist Nawal plötzlich gestorben. Lebel hat die Aufgabe, Jeanne (Mélissa Désormeaux-Poulin) und Simon (Maxim Gaudette), inzwischen erwachsen, den letzten Willen ihrer Mutter mitzuteilen.
Sie wünscht sich eine anonyme Beerdigung. Hat aber für ihre Kinder ein Vermächtnis: Jeanne soll sich auf die Suche nach dem Vater, Simon nach dem Halbbruder machen. Den Auftrag versah die Mutter mit vagen, unheilvollen Andeutungen. Irritiert stellen die beiden fest, dass sie kaum etwas über die Mutter wissen.
Während Simon zögert, reist Jeanne auf Spurensuche nach dem Vater in den Libanon. Sie hat nur vage Anhaltspunkte. Ein Foto der Mutter als Studentin hilft fürs Erste an der Universität von Beirut weiter. Sie war politisch aktiv.
Jeanne entdeckt, dass ihre Mutter der PLO nahestand und anscheinend eine hochrangige Persönlichkeit der rechtsgerichteten christlichen Falangisten umgebracht hat. Sie wurde verhaftet und in ein berüchtigtes Foltergefängnis der „Libanesischen Front“ einge-kerkert. Ein ehemaliger Gefängniswärter erinnert sich, als ihm Jeanne das Foto ihrer Mutter zeigt. Hier ist sie als die „Frau die singt“ und sich nicht brechen ließ in die Annalen eingegangen. Auch nicht als sie von Abu Tarek (Abdelghafour Elaaziz) einem als besonders brutal geltenden Folterer mehrfach vergewaltigt wurde.
Während die Suche nach dem Vater ins Stocken gerät, ist Simon dem Halbbruder näher zu kommen. Fest steht, dass er von seiner Mutter zur Adoption freigegeben und in ein Waisenhaus gekommen ist. Er heißt Nihat. Die Geschwister treffen einen Milizenführer von Damals, der Kindersoldaten ausgebildet hat: ihm ist der Junge als erstklassiger Schütze aufgefallen. Und dabei hoch sensibel, der nur eines wollte: seine Mutter finden!
Er hat sie dann auch gefunden – später im Gefängnis ohne sie allerdings zu erkennen. Da war er der Folterspezialist mit dem Kampfnamen Abu Tarik…
„Incendies/Verbrennungen“ heißt die literarische Vorlage, ein Theaterstück des libanesisch-kanadischen Dramatiker Wajdi Mouawad, das von Denis Villeneuve verfilmt wurde und unter dem deutschen Verleihtitel „Die Frau die singt“ in unsere Kinos kommt.
Selten ist die grauenhafte Fatalität eines Krieges so überzeugend und fern aller Effekthascherei beschrieben worden: Jenseits von Gut und Böse wird das Opfer zum Täter. Motive aus den Tragödien der griechischen Antike wurden hier in den libanesischen Bürgerkrieg übertragen, ohne dass dem Einen wie dem Anderen etwas genommen würde; es bleibt sogar noch Raum für Gnade und Vergebung. „Die Frau die singt“ ist ein großartiger Film, der einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Das kommt selten vor!