Regie: Volker Schlöndorff
Arthaus-Kinowelt
DVD: 15 Euro | Blu-ray: 17 Euro
Nicht nur Günter Grass’ Roman „Die Blechtrommel“ gilt als ein Höhepunkt der modernen Kulturgeschichte, sondern auch die 1978 von Volker Schlöndorff inszenierte Verfilmung. Der Regisseur wurde dafür sowohl mit der Goldenen Palme der Filmfestspiele von Cannes, als auch mit einem Oscar ausgezeichnet. Diese Woche hatte im Rahmen des diesjährigen Münchner Filmfestes der um 20 Minuten gegenüber der bisherigen Fassung längere „Director’s Cut“ des Klassikers Premiere. Diese Fassung der „Blechtrommel“ wird in dieser Woche als DVD-Premiere von Kinowelt veröffentlicht.
Günter Grass notierte in seinem Tagebuch: „Seit 1959, als ‚Die Blechtrommel“ veröffentlicht wurde, bekam ich alle zwei Jahre ein Angebot für eine Verfilmung. Was man mir vorschlug, war immer unzureichend, es behandelte nur einige Aspekte des Buches und entsprach nur einer begrenzten Auffassung des Werks. Dann kamen je-doch Seitz und Schlöndorff.
Volker Schlöndorff und sein Produzent bzw. Koautor Franz Seitz setzten die Geschichte von Oskar Matzerath, der sich weigert erwachsen zu werden, meisterhaft filmisch um. Großartig der damals 12jährige David Bennent in der Titelrolle.
In diesem Frühjahr dann die überraschende Mitteilung, Volker Schlöndorff habe von seinem Meisterwerk „Die Blechtrommel“ einen sogenannten „Director’s Cut“ hergestellt, die am Rande der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes zum ersten Mal präsentiert wurde.
Sie unterscheidet sich von der bisherigen Fassung vor allem inhaltlich in drei wesentlichen Sequenzen, die jetzt neu dazu gekommen sind. Zum Beispiel weigert sich Vater Matzerath seinen Sohn Oskar von der Gestapo deportieren zu lassen. Der Nazi geht auf Distanz zum Regime, als die Menschen verachtende Politik seinen Sohn betrifft.
Auch die zusätzliche Sequenz am Schluss gibt dem Film „Die Blechtrommel“ eine erweiterte Dimension. Nach dem Ende des Krieges kommt ein Jude aus Theresienstadt nach Danzig zurück. Er soll das Geschäft der Matzeraths übernehmen. Im Keller findet er die Leiche des Alfred Matzeraths. Eine der erschütternsten Momente, die Volker Schöndorff im Laufe seiner Karriere inszeniert hat.
Um das zeitliche Limit des Verleihs von maximal 135 Minuten zu erfüllen, hatte Schlöndorff 1978 auf solche Schlüsselszenen verzichten müssen. Durch glückliche Umstände ist das gesamte Filmmaterial der „Blechtrommel“ erhalten geblieben. Im vergangenen Jahr hat es sich der Regisseur noch einmal vorgenommen. Die Erweiterung der „Blechtrommel“ ist also ein Glücksfall der Filmgeschichte. Das Filmmaterial hat die letzten 30 Jahre zwar in vorzüglichem Zustand überdauert, die Tonbänder sind aber inzwischen „entsorgt“ worden.
Das heißt, es musste aufwändig nachsynchronisiert werden. Dabei konnte auf die Segnungen der modernen digitalen Tonbearbeitung zurückgegriffen werden. Zum Beispiel bei David Bennent, inzwischen 36. Die mit ihm jetzt neu aufgenommenen Passagen wurden anschließend elektronisch der Stimme des bei den Dreharbeiten 12jährigen angepasst.
Das zeigt sich frappierend an einer eher beiläufigen, für Oskars Selbstverständnis im Film aber wichtigen Szene. Während sich Mama und eine Freundin an erotischer Literatur delektieren, träumt sich Oskar in die Welt des russischen Wüstlings Rasputin.
Im Bonusteil der äußerst sorgfältigen 2-Disc-DVD-Edition der neuen „Blechtrommel“ wird die Nachsynchronisation mit David Bennent dokumentiert.
Die Bearbeitung „Der Blechtrommel“ zwanzig Jahre nach der Uraufführung hat sich gelohnt. Bisher bereits ein Meisterwerk von filmgeschichtlichem Rang, hat es durch die zusätzlichen 20 Minuten an Tiefe und dramaturgischer Raffinesse gewonnen. Eine zeitlos großartige Literaturverfilmung. Eigentlich für die große Kinoleinwand bestimmt, ist ihre Wirkung selbst im DVD-Format überwältigend.
Die Edition erscheint bei Arthaus-Kinowelt und kostet 15 Euro, als Blu-ray ist sie zwei Euro teurer.
Ich hatte nach der Münchner Premiere des „Blechtrommel Director’s Cut“ Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch mit Volker Schlöndorff:
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Der „Director’s Cut“ könnte auch ein willkommener Anlaß sein den Roman „Die Blechtrommel“ von Günter Grass neu bzw. wieder zu lesen. Dazu lädt eine Neuauflage des Steidl Verlags ein, die im letzten Herbst zum 50jährigen Jubiläum erschienen ist. Grass hat dazu sogar ein neues Cover gezeichnet.
- Neuausgabe: 19.90€
Als Beigabe enthält diese wunderschöne Ausgabe die Broschüre „Trommelwirbel – Fünfzig Jahre ‚Die Blechtrommel'“. Der Herausgeber Uwe Neumann hat hier einen kundigen Streifzug durch die Rezeptionsgeschichte des Romans unternommen. Zum Beispiel schrieb Siegfried Lenz 1988 („Etwas über Phantasie“):
„Oskar Matzerath, der Held aus der ‚Blechtrommel‘ von Günter Grass, kann nicht nur Glas zersingen, sondern auch sein Wachstum kalkuliert unterbrechen. Ausgestattet mit phantastischen Eigenschaften, gelingt es ihm, auch mit zu-nehmenden Jahren Kind zu bleiben bzw. als Kind genommen zu werden. Sein inmoralischer, augenöffnender Infantilismus entlarvt die abstruse Welt der Erwachsenen. Trommelnd, bei ausgesuchten Gelegenheiten trommelnd, führt er den Irrwitz der Zeitgeschichte vor. Phantasie enthüllt das Danziger Pandämonium“.