Deutsche Premiere: „Fenster zum Sommer“ von Hendrik Handloegten beim „Filmfest Hamburg 2011“
Eines steht fest: das ist eine der originellsten deutschen Produktionen des Jahres. Gleichzeitig ein Film, mit dem ein begabter Regisseur zu sich selbst gefunden hat. Ein Spiel mit Erinnerungen, Zeitsprüngen und der trügerischen Hoffnung, Schicksal spielen zu können. Ein gewagter Drahtseilakt, der nicht zuletzt mit der Creme-de-la-Creme deutscher Schauspieler gelingt: zum Quartett Nina Hoss, Fritzi Haberland, Mark Waschke und Lars Eidinger kommt mit Lasse Stadelmann ein sensationeller Kinderdarsteller: Kein Wunder er ist der Sohn von Aljoscha Stadelmann!
Zum Gelingen von „Fester zum Sommer“ mag zudem beigetragen haben, das der Regisseur autobiographische Momente einfließen ließ. Das „Fenster“ meint vordergründig Finnland, da ist Handloegten teilweise aufgewachsen. Hier stellt er dem finnischen Mitsommer das winter-liche Berlin gegenüber.
Juliane (Nina Hoss) hat im tiefsten Norden Europas ihre große Liebe mit August (Mark Waschke) gelebt. Doch dann wacht die Übersetzerin in Berlin auf: es schneit, Philipp (Lars Eidinger) drängelt nervös. Die beiden leben wohl mehr schlecht als recht seit neun Jahren zusammen und sind auch noch beruflich verbunden.
Juliane dämmert, das sie einen Zeitsprung rückwärts gemacht hat. Eine dumme Sache. Natürlich will sie nichts unversucht lassen, dass es wieder ein schöner finnischer Sommer wird. Doch dazu gehört eine Katastrophe – der tödliche Unfall ihre Kollegin und engen Freundin Emily (Fritzi Haberland).
Emily hat einen 7jährigen Sohn, Otto (Lasse Stadelmann), und ein verkorkstes Seelenleben. Ewig auf der Suche nach dem Mann fürs Leben – vergeblich. Ab und zu spielt Juliane bei Otto Kindermädchen.
Handloegtens exakte Arbeitsweise und sein Hang zum Experimentellen ist bereits bei „Paul is Dead“ (2000) und der Bestseller-Verfilmung „Liegen lernen“ aufgefallen. Selbst wenn er in den unpersönlichen Niederungen des „Tatorts“(„Pechmarie“, 2005; „Der tote Chinese“, 2008) unterwegs ist, hält der Filmemacher sein Niveau.
Doch so richtig in seinem Element ist er erst jetzt bei „Fenster zum Sommer“. An dem hat Handloegten fünf Jahre gearbeitet – Hut ab vor Maria Köpf, der Produzentin! Mit feinen dramaturgischen Strichen, einer fein nuancierten Montage (Schnitt: Elena Bromund) und der kreativen Kamera von Peter Przybyliski.
Eigentlich folgt er einem simplen Kino-(und TV-) Rezept: unglückliche Umstände trennen ein glücklich liebendes Paar. Verschlungene Wege bringen die Beiden schließlich wieder zusammen. Handloekten baute nicht nur die Geschichte mit der Zeitreise ein, sondern allerhand weitere Stolperstellen.
Verblüfft stellt der Zuschauer am Ende fest, dass das gewagte Spiel funktioniert und zu einem ziemlich überzeugenden Ende kommt, ohne in dramaturgischen Hilfskonstruktionen hängen zu bleiben: das ist wahre Meisterschaft! Ab 3. November im Kino.
A propos Nina Hoss: die ist nicht nur wegen der „Fenster zum Sommer“-Premiere in der Stadt. Am 9. Oktober besteht im Rahmen des „3. Hamburger Theaterfestivals“ – gleich im Anschluß an das „Filmfest“ – Gelegenheit, die Schauspielerin in ihrer Glanzrolle als „Medea“ in Barbara Freys Inszenierung (ursprünglich für das „Deutsche Theater“ Berlin) zu sehen, nach der Wiederaufnahme in Zürich. Die zweijährige „Ruhepause“ ist der genialen Inszenierung und Nina Hoss bestens bekommen. Spannend jetzt der Vergleich zu ihrer Interpretation der Juliane in „Fenster zum Sommer“ – auch zu ihrem Part in Dennis Gansels verunglücktem „Wir sind die Nacht“: Nina Hoss adelt selbst Vampire….