England 2012
Regie: Terence Davis
Mit Rachel Weisz, Tom Hiddleston
Kinostart: 27. September 2012
Die stilvolle Beschreibung von Erinnerungen und ihre unmittelbare Auswirkung auf das Leben in der Gegenwart, ist das Markenzeichen des britischen Regisseurs Terence Davis. In den letzten 25 Jahren hat lediglich fünf Filme gedreht. Er arbeitet langsam, seine Filme sind in kleinste Details minutiös ausgearbeitet. Bei seinen Inszenierungen überlässt Davis nichts dem Zufall. Dafür ist er seit seinem Debut „Distant voices, still lieves“ bekannt. Nach diesem Prinzip hat Terence Davis auch seinen neuesten Film „The deep blue sea“ gedreht, der auf dem gleichnamigen Stück des außerhalb Englands weniger be-kannten Dramatikers Terence Rattigan beruht und der mit einiger Verspätung jetzt auch in Deutschland zu sehen ist.
Die äußeren Umstände meinen es gut mit Hester Collyer (R. W.): Trotz der schwierigen Zeiten kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mangelt es im noblen Zuhause an nichts. Hesters Gatte Sir William (Simon R. Beale) ist ein angesehener Jurist mit überdurchschnittlichem Einkommen. Man gehört zur Upperclass. Lady Hester und Sir William führen eine mustergültige Ehe mit klaren Vorgaben.
Er ist allen Wünschen seiner Gattin gegenüber aufgeschlossen und achtet stets penibel auf die Erfüllung ihrer Bedürfnisse. Dabei spielen Geborgenheit und emotionaler Ausgleich der Kräfte eine wichtige Rolle. Das hätte bis zum Ende ihrer Tage so weitergehen können, wenn Hester nicht beim Golf Freddie Page (T.H.) kennen gelernt hätte.
Freddie ist nicht nur wesentlich jünger als Gatte William. sondern ein schneidiger Royal Air Force-Pilot, der aussieht wie Jung-Siegfried. Vor allem aber ist er ziemlich potent und verhilft der sexuell unterversorgten Lady zu bisher unbekannten Freuden im Bett. Wobei allerdings sein Charakter zu wünschen übrig lässt…
Terence Rattigans Stück „The deep blue sea“ wurde 1952 uraufgeführt und gilt als moderner Klassiker des englischen Theaters. Der Einfluss von D.H. Lawrence und seinem berühmten Dreicksroman „Lady Chatterley“ ist nicht zu übersehen. Wobei Rattgian seine Hester nicht am Bruch der Konvention, sondern an ihrer eigenen Ambivalenz scheitern lässt.
Terence Davis hat das Theaterstück radikal für den Film bearbeitet. Die lineare Handlung wird immer wieder durch Rückblenden unterbrochen, die Dialoge auf ein Minimum reduzierte. In den ersten 15 Minuten fällt kaum ein Wort und doch wird allein durch die Optik alles gesagt: Über den entscheidenden Tag im Leben der Hester Collyer. An dem sie feststellt, dass sie „zwischen den Stühlen“ sitzt: „To choose between the devil and the deep blue sea“.
Dieses englische Sprichwort ist das Motto von Theaterstück und Film. Analog zum Deutschen: „Die Wahl zwischen Pest und Cholera“. Lover Freddy ist zwar sexy, aber ein Hallodri. William bürgt für Sicherheit, aber ohne Sexappeal. Regisseur Davis filmte das Dilemma unterkühlt bis zur Frostgrenze. Der verhaltene Erzählrhythmus und die häufigen Nachtaufnahmen erinnern an den englischen Film der 1940er und 1950er Jahre.
„The deep blue sea“ fordert von seinem Publikum Konzentration. Wer sich auf Terence Davis und seinen eigenwilligen Stil einlässt, erlebt innovatives Kino, wie man es nur selten zu sehen bekommt.