Deutschland/Saudi-Arabien 2012
Regie: Haifaa Al Mansour
Mit Reem Abdullah, Waad Mohammed
Kinostart: 5. September 2012
Das Königreich Saudi-Arabien ist als „Hüter“ des wichtigsten Heiligtums der Islamischen Welt – Mekka – bestrebt, die Ge-und Verbote des Korans besonders eng auszulegen. Es gibt zwar Fernsehen, aber das Bilderverbot wird in der Öffentlichkeit nachhaltig befolgt. Deshalb gibt es in Saudi-Arabien keine Filmtheater und folglich auch keine Filmproduktion. Frauen sind weit-gehend in die heimischen vier Wände verbannt. Es ist ihnen untersagt, allein Auto zu fahren oder ein Fahrrad zu benutzen. Ebenso einen eigenen Beruf auszuüben. Vor diesem Hintergrund kommt es einem Wunder gleich, dass eine junge Frau in Saudi-Arabien einen Film als Regisseurin realisieren konnte, in dem es um ein kleines Mädchen geht, das sich nichts sehnlicher wünscht, als ein Fahrrad. Inzwischen mehrfach ausgezeichnet, kommt „Das Mädchen Wadjda“ von Haifaa al Mansour diese Woche in die deutschen Kinos.
Der Film „Das Mädchen Wadjda“ zeigt auf ganz leise Art und Weise die liberalen Aufbrüche in einem der striktesten islamischen Länder der Welt, in dem zum Beispiel die Scharia ohne Einschränkungen angewandt wird. Der Film wurde weitgehend mit deutschem Geld finanziert, die Dreharbeiten fanden in Riad unter schwierigsten Verhältnissen statt: Haifaa Al Mansour gab ihre Regie-Anweisungen zeit-weise aus der Ferne über Walkie-Talkie, denn Frauen dürfen in Saudi-Arabien nicht als Regisseurin arbeiten. An der Produktion sind aber auch ein saudischer Fernseh-Sender und ein saudischer Geschäftsmann beteiligt. Dennoch scheint es fraglich, wann bzw. ob überhaupt „Das Mädchen Wadjda“ in Saudi-Arabien gezeigt werden kann. Kein Wunder bei der Geschichte, die der Film erzählt.
Wadjda ist 10 und ein cleveres Mädchen und träumt von einem eigenen Fahrrad. Sie ist sich im Klaren darüber, dass sie ihren Traum nur allein erfüllen kann, denn Fahrrad fahren schickt sich nicht für saudische Mädchen. Um sich das Geld dafür zu verdienen, erledigt sie heimlich Botendienste, bastelt Freundschaftsarmbänder und versorgt Mitschüler mit kopierten Audiokassetten mit, natürlich verbotener westlicher Rockmusik. Das geht nicht lange gut, in einem Land in dem Alles reglementiert ist. Die Schulleiterin unterzieht Wadjda einem peinlichen Verhör und droht mit Schulauschluß.
Wadjda lässt sich davon nicht entmutigen. Ein Koran-Vorlesewettbewerb eröffnet neue Perspektiven: der erste Preis ist nämlich eine Geldprämie, die die Kosten für das Fahrrad decken würde. Also büffelt Wadjda zum großen Erstaunen von Eltern und Lehrerin in jeder freien Minute und lernt das Heilige Buch des Islam auswendig. Bisher war sie nicht durch besondere Frömmigkeit aufgefallen.
Wadjda hat Erfolg, das schöne grüne Fahrrad ist ihrs: Mit liebevoller Solidarität begleitet Regisseurin Haifaa Al Mansour ihre beharrliche Protagonistin auf dem Weg zum eigenen Fahrrad. Unaufdringlich, ganz selbstverständlich entwirft sie in „Das Mädchen Wadjda“ einen Gegenentwurf zu der repressiven Welt der Erwachsenen. Das macht den Film eminent politisch, obwohl er auf den ersten flüchtigen Blick harmlos daher kommt. Das Fahrrad wird zum Symbol für eine bessere Zukunft: Haifaa Al Mansour beschwört die Utopie einer freien, selbstbestimmten Gesellschaft. Der Stuttgarter Kameramann Lutz Reitemeier entwickelte dafür ein visuelles Konzept von großer Poesie, das an die Filme des italienischen Neorealismus erinnert. „Das Mädchen Wadjda“ ist ein Juwel im gegenwärtigen Kinoalltag. Ein kleines humanistisches Manifest in einer Welt des Umbruchs.