Von heute auf Morgen das Leben ändern, ausbrechen aus dem alltäglichen Trott, sich selbst neu erfinden. Das ist leicht gesagt, aber schwer getan. Menschen die dieses Wagnis eingehen, stehen im Mittelpunkt von zwei Filmen, die von der Kritik hoch gelobt wurden und die jetzt auf DVD zu haben sind: „Laurence Anyway“ und, „Die Zeugen“. Zu den Gemeinsamkeiten gehört nicht nur, dass sie aus dem frankophonen Sprachraum kommen, sondern von jungen Leuten handeln, die sich bewusst dazu entschließen, Grenzen zu überschreiten.
Obwohl erst Mitte 20, ist der Kanadier Xavier Dolan bereits ein renommierter Filmemacher. Er dreht in Form und Inhalt außerge-wöhnliche Filme. In einer exzellenten 2-Disc-Edition ist sein vorletztes Werk „Laurence Anyways“ bei Eurovideo erschienen. Entwaffnend charmant plaudert Regisseur Dolan auf der Bonus-Disc über seinen Film und warum nicht alles was gedreht im fertigen Film auch verwandt wurde. Eine aufschlussreiche Einführung in die Kunst des Filmemachens und der Filmmontage.
Bei „Laurence Anyways“ handelt es sich um einen Film, der auf einem schmalen Grad balanciert. Ein dramaturgisch falscher Moment, würde den Film ins Peinliche kippen lassen:
Laurence sieht gut aus, wird als Lehrer von seinen Schülern wegen seines unkonventionellen Unterrichts geschätzt. Eine ebenfalls unkonventionelle Beziehung verbindet Laurence mit seiner Freundin Fred. Ihr gemeinsames Motto lautet: das Leben jenseits aufgetretener Pfade zu leben. Obwohl Fred mit Laurence schon Einiges erlebt haben, reagiert sie doch ziemlich konsterniert auf Laurence Geständnis, dass er sich immer schon als Frau fühlte und deshalb eine Geschlechtsumwandlung vor hat – ausgerechnet an seinem 30. Geburtstag.
Nachdem Fred sich an den Gedanken gewöhnt hat, dass Laurence künftig eine Frau sein möchte, versichert sie ihm ihre absolute Solidarität. Schließlich liebt sie Laurence. Seine Familie sieht das nicht so locker: sie betrachtet die Laune der Natur als peinlichen Fehltritt und geht auf Distanz zum Sohn. An seinem Arbeitsplatz, der Schule, sorgt Laurence erster Auftritt als Frau für beträchtliches Aufsehen. Weniger bei den Kindern, als beim Kollegium.
Bei Laurence Geschlechtsumwandlung interessiert Dolan weniger das Dilemma eines Menschen, der darunter leidet in, einem falschen Körper zu leben. Ihm geht es vielmehr um Grundsätzliches. Dafür findet Xavier Dolan eine Bildsprache, wie man sie selten auf der Leinwand zu sehen bekommt, ohne sich dabei in purem Formalismus zu verlieren. Er ordnet seine visuelle Phantasie stets der Beschreibung einer existentiellen Krise unter. Wobei es um die Frage nach der Zukunft einer Liebe geht, wenn sich Partner verändern. Eine sensationelle Regie und charismatische Schauspieler machen aus „Laurence Anyways“ einen Film, den man immer einmal wieder ansehen kann.
Zu den experimentierfreudigsten französischen Regisseuren gehört André Téchiné. Sein Film „Die Zeugen“ wurde zwar bei den Berliner Filmfestspielen 2007 hoch gelobt, ein Verleih des Films fand sich trotzdem in Deutschland nicht. Es hat sechs Jahre gedauert, bis dieser außergewöhnliche Film wenigsten auf DVD veröffentlicht wurde. In diesen Wochen von der Edition Salzgeber und zwar in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln.
Sommer 1984: der 20jährige Manu kommt aus der Provinz zu seiner Schwester nach Paris. In dem Arzt Adrien findet Manu einen väterlichen Freund, der die beiden Geschwister zu einer Bootstour einlädt. Bei dieser Gelegenheit lernen sie ein junges Ehepaar kennen. Sie schreibt Kinderbücher, er ist Inspektor bei der Pariser Sittenpolizei.
Auf Manus provokante Frage, ob es dann auch schwule Polizisten gäbe, antwortet Mehdi – so heißt der Mann – er kenne keinen, aber man sei tolerant. André Téchiné beschreibt in „Die Zeugen“ wie weit diese Toleranz geht. Mehdi verliebt sich nämlich in Menu…
Auch „Die Zeugen“ ist ein Film der feinen Zwischentöne, der mit großer Zurückhaltung an ein Tabu rührt und dabei für Toleranz wirbt; geschmackvoll und auf sehr angenehme Art und Weise unterhaltsam.
Zwei bemerkenswerte Filme über den Ausbruch aus eingefahrenen Gleisen. Filme zum Nachdenken für 15 bzw. 16 Euro.