Roman
Originaltitel: „Babylon Nights“
Aus dem Englischen von Regina Rawlinson
350 Seiten – ISBN 978-3-570-58502-3
Verlag carl’sbooks 2011 – € 14.99
Weil er seine besten Jahre hinter sich hat, hängte David Spandau seinen Job als Stuntman an den Nagel und arbeitet jetzt als Privat-Detektiv und Bodyguard. Er macht äußerlich noch immer was her, obwohl in seinem Inneren Selbstzweifel an ihm nagen. Zumal ihn seine große Liebe Dee endgültig verlassen hat. Einsam und verlassen fühlt sich David in den heißen Straßenschluchten von L. A. Ein neuer Auftrag verspricht zwar Abwechslung aber – bei genauerem Hinsehen – mehr Frust als Lust.
Spandau soll der nicht mehr ganz taufrischen Hollywood-Diva Anna Mayhew beistehen. Sie wird von einem Stalker verfolgt. Der heißt
Vincent Perec ist Friseur mit französischen Wurzeln und einer Persönlichkeit, bei der die Grenze zum Pathologischen längst überschritten wurde. Während er von einer garstigen bigotten Mutter drangsaliert wird, kulminiert sich seine Liebe zu Anna Mayhew in kultischer Verehrung. Mit einem Heiligenschrein und allem was dazu gehört. Der Leser von „Nächte in Babylon“ weiß von Anfang an Bescheid und ahnt wohin das führen wird.
Das Einzige was Perec nämlich von seinem Vater blieb, der sich bereits längerer Zeit entleibte, ist ein scharfes Rasiermesser aus gutem Solinger Stahl. Damit bringt er sich kleine Verletzungen bei, um mit seinem Blut Anna schwärmerische Briefe zu schreiben.
Diese Briefe sind der Anlass für Spandaus Engagement. Die Agentur der Schauspielerin hat Grund zur Sorge. Das zeigt sich beim ersten öffentlichen Auftritt Annas unter der Obhut des Detektivs. Perec bringt einem von Spandaus Mitarbeitern mit dem Rasiermesser üble Verletzungen bei, um im Dschungel der Großstadt unentdeckt und unerkannt zu entkommen.
Jetzt steht Annas Reise zu den Filmfestspielen von Cannes an – sie ist in die Jury berufen worden. Für den bodenständigen Amerikaner Spandau bedeutet Südfrankreich eine harte Bewährungsprobe. Die Europäer im Allgemeinen und die Franzosen im Besonderen sind ihm – ein Gräuel, ihm, dem einsamen Cowboy.
Weniger Probleme hat Perec mit Frankreich; seiner französischen Wurzeln wegen. Seinem wendigen Umgang mit dem Rasiermesser verdankt er, dass ihm eine beträchtliche Summe in die Hände fällt. Das sie der Mafia gehört, übersieht er geflissentlich. Finanziell gut ausgestattet kann der paranoide Stalker Anna auf den Fersen bleiben.
Insgeheim hat Perec beschlossen, ein neues Leben zu beginnen – natürlich mit Anna. Endlich war es ihm auch möglich, sich von seiner Mutter (ebenfalls mit Hilfe des Rasiermessers) zu befreien. Auf Annas Reise nach Cannes wurde Perec durch die Regenbogenpresse aufmerksam.
Wie im Trubel des Festival de Cannes ein Bodyguard seine Klientin in jeder Beziehung beschützt, ein Killer in der Masse der Besucher unter-und wieder auftaucht, während er von einem Mafioso und Opernliebhaber verfolgt wird, nimmt den Hauptteil in Daniel Depps neuem Spandau-Krimi „Nächte in Babylon“ ein.
Geschrieben aus der Insiderperspektive des größten Filmfestivals der Welt. Als angesehener Drehbuchautor und Bruder eines Filmstars kennt Daniel Depp Cannes aus eigener Anschauung. Diese merkwürdige Kleinstadt an der Cote d’Azur, die im Mai kurz aus seinem Dornröschenschlaf erwacht und der nichts Besseres passieren kann, als Kulisse für einen Kriminalroman benutzt zu werden. Seltam, auf diese Idee ist bisher noch niemand gekommen. Depp leistet hier also Pionierarbeit.
Wie bereits bei seinem Erstling „Stadt der Verlierer“ erweist sich Depp wieder als einer, der Chandler und Hammett genau gelesen hat. Ohne die Herrn Archer und Marlowe einfach zu kopieren, schrieb er sein Buch als bisweilen wehmütige Reminiszenz an die großen Vorbilder. Spandau verfügt nicht über Philipp Marlows Nonchalance; hat zwar mehr Muskeln, tut sich aber im Umgang mit Frauen schwer. Auf dem glatten Parkett der Filmfestspiele fühlt er sich ziemlich unwohl.
Ziemlich authentisch beschreibt Daniel Depp aus Spandaus Angst-Perspektive den horroresken Festival-Alltag:
„Als Thierry (d. i. der Chauffeur) auf die Croisette einbog, waren die Straßen schon mehrere Hundert Meter vor dem Festivalpalast von Menschen gesäumt. Das Gedränge wurde immer dichter. Thierry reihte sich in die Schlange der Limousinen ein, die ihre Stars vor dem roten Teppich auswarfen. Während sie warteten, wurden sie sofort von Fans umringt, die sich unter Geschiebe und Gestoße an den Wagen herankämpften, um einen Blick durch die getönten Scheiben zu erhaschen. Es interessierte sie nicht weiter, wer darin saß, solange es nur ein Prominenter war. Spandau kam sich vor wie in einem langen, gedämpften Drogenrausch. ‚Du großer Gott‘. ächzte er, als der Wagen vor dem Teppich hielt. ‚Bleib einfach hinter mir‘, sagte Anna. ‚Mach genau das, was ich auch mache. Und immer schön ruhig bleiben…‘“
Depp bedient sich bei der Beschreibung seines überforderten, emotional ziemlich derangierten Helden durchaus der sarkastischen Grundfärbung, die den besonderen Reiz der Romane der „Schwarzen Serie“ ausmachen. Er versteht es aber, ihr einen eigenen Tonfall zu geben. Dabei funktioniert seine Methode der Parallel-Handlung erstaunlich gut, die der Romanautor, dem Drehbuchautoren abgeschaut hat.
Dabei weiß Daniel Depp klug den Spannungsbogen seiner Geschichte zu halten; kann es sich sogar erlauben die eine oder andere Arabesque einzubauen, ohne das dabei die Handlung aus den Fugen gerät. Also: ein witziger Krimi, der nicht nur dem Cineasten Freude macht!