Eigentlich sollte Henri Jean Chabrol Apotheker werden, denn der Beruf des Apothekers hat in der Familie Tradition. Aufgewachsen ist er in einem kleinen Dorf im mittelfranzösischen Département Creuse bei den Großeltern. Die Provinz und Männer, die in einen ungeliebten Alltag eingebunden und darin rettungslos verloren sind, werden in vielen Filmen des Claude Chabrol eine Rolle spielen. Aber den Frauen geht es auch nicht besser.
Ein Pharmaziestudium hat Claude Chabrol ebenso abgebrochen wie Jura und Literaturwissenschaft. Sein Wunsch an der berühmten Pariser Filmschule IDHEC zu studieren, war am Widerstand der Eltern gescheitert. Trotzig geht der junge Claude seiner Passion nach und verbringt seine Zeit in der Cinématheque Francaise.
Da trifft er verwandte Seelen, für die es ebenfalls nichts Schöneres im Leben gibt, als ins Kino zu gehen. Sie heißen Eric Rohmer, Jean-Luc Godard, Jacques Rivette und Francois Truffaut. Die Gruppe, die später als „Nouvelle Vague“ Filmgeschichte machen wird, kann sich nicht nur für deutsche Stummfilmklassiker, sondern vor allem für amerikanische Gangsterfilme und Western begeistern. Filme, die in den 1950er Jahren in Europa wenig geschätzt werden.
Zwangsläufig bekommt Claude Chabrol Kontakt zum Cineasten-Zirkel um den Filmkritiker André Bazin und beginnt Filmkritiken für die kleine, eben gegründete Zeitschrift „Cahiers du Cinema“ zu schreiben.
Von den zeitgenössischen Regisseuren macht vor allem Alfred Hitchcock auf Chabrol großen Eindruck, dessen Filme damals vom etablierten europäischen Kulturbetrieb weitgehend ignoriert wurde.
1956 schreibt Claude Chabrol zusammen mit Eric Rohmer die weltweit erste Monographie über Hitchcock. Damit leiten sie die angemessene Rezeption des Regisseurs ein. Sie wird später von Francois Truffaut mit seinem monumentalen Interview-Buch „Le cinéma selon Hitchcock“ (Deutsch: „Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock?“) noch weiter vertieft.
Kritisch setzen sich die jungen Cineasten dagegen mit dem französischen Gegenwartsfilmen auseinander. Vor allem an den Arbeiten von Marcel Carné oder Yves Allegret lassen sie kein gutes Haar. Der einzige der „Vätergeneration“, der vor ihrem kritischen Blick Gnade findet, ist Jean Renoir.
Eine Erbschaft erleichtert Chabrol 1957 den Schritt von der Theorie zur Praxis. Mit „Le beau Serge“ inszeniert er als Autodidakt seinen ersten Spielfilm und zwar in Sardent, dem Ort seiner Kindheit.
Bereit das Debut enthält sämtliche Ingredienzien seiner inzwischen über 60 Filme: In der provinziellen Heimeligkeit nistet das Böse. Es bedarf nicht viel, damit Mord und Totschlag in das Idyll einbrechen. Hoffnung auf Änderung der Verhältnisse besteht kaum. Das hat Claude Chabrol den Vorwurf eingebracht, er sei ein unverbesserlicher Zyniker. 1975 schrieb Rainer Werner Fassbinder in einem Essay zur Verteidigung Chabrols:
„Chabrols Blick ist nicht der des Insektenforschers, wie oft behauptet wurde, sondern der eines Kindes, der eine Anzahl von Insekten in einem Glaskäfig hält und abwechselnd staunend, erschrocken oder lustvoll die merkwürdigen Verhaltensweisen seiner Tierchen betrachtet.“
Die „Tierchen“, das ist bei Chabrol immer die Bourgeoisie. Was diese Gesellschaft der Selbstzufriedenen zusammen hält, ist in erster Linie die Dummheit. Warum ihn die Dummheit seiner Protagonisten vor allem interessiert, hat Claude Chabrol einmal so erklärt:
„Dummheit ist unendlich viel faszinierender als Intelligenz. Intelligenz hat ihre Grenzen, während der Dummheit keinerlei Schranken gesetzt sind (…) Dummheit interessiert mich in dem Maße, in dem sie Angst erzeugt. Wenn ich dumme Menschen zeige, so sind sie immer bösartig. Selbst wenn diese ‚Dummen‘ gut sein wollen, sind sie doch in Wirklichkeit bösartig, da Dummheit und Bösartigkeit nur Synonyme sind!“
Irgendwann heißt es in jedem Film Chabrols: „Rien ne va plus“. Doch die Dummen finden immer noch ein Schlupfloch, um den Konsequenzen ihres häufig verbrecherischen Tuns zu entziehen. So 1997 in „Das Leben ist ein Spiel“, der im Original „Rien ne va plus“ heißt und eines der Schlüsselwerke des Regisseurs ist. Selten wurde Gemeinheit derart dezent und mit ironischem Understatement in Szene gesetzt, wie von Claude Chabrol in diesem Film. Das trifft grundsätzlich auf alle Arbeiten der letzten Jahre zu, selbst wenn sie nicht – wie zuletzt bei „Bellamy“ (Kommissar Bellamy) – die erbarmungslose Schärfe seiner Filme aus den 1970er Jahren („Le Boucher“ oder „La repture“) haben. Eines steht jedenfalls fest, „altersschwach“ wird Claude Chabrol wohl nie werden …
Zum „Nachsehen“ gibt es ein stattliches Angebot von Chabrol-Filmen auf DVD: Die Claude Chabrol Classic Edition 1& 2 (Filmconfect Home Entertainment) enthält mit jeweils fünf Discs einen repräsentativen Querschnitt durch sein Schaffen in den 1970er Jahren. Die inzwischen vier Kassetten (mit drei bzw. vier Discs) umfassende Claude Chabrol Collection von Concorde Home Entertainment widmet sich den 1980er Jahren bis heute. Außerdem gibt es die neueren Filme Chabrols, ebenso wie verschiedene ältere Titel als Einzel-DVDs.