Deutschland/Israel 2012
Regie: Marcus Vetter
Kinostart: 28. Juni 2012
Ein israelischer Soldat erschießt in der Stadt Jenin in der Westbank einen palästinensischen Jungen. Der Vater des Kindes stellt den Leichnam einer israelischen Klinik als Organspender zur Verfügung. Diese schier übermenschliche Geste der Versöhnung eines Palästinensers machte weltweit Schlagzeilen und regte den Tübinger Filmemacher Marcus Vetter zu seiner Dokumentation „Das Herz von Jenin“ an, die u. A. 2010 mit dem „Deutschen Filmpreis“ ausgezeichnet wurde. Aus dem engen Kontakt mit dem Vater des getöteten Kindes, Ismail Khatib, entwickelte sich unter Vetters Feder-führung ein einzigartiges Projekt: die Restaurierung und Wiederer-öffnung des Filmtheaters von Jenin. Das in den 1950er Jahren erbaute Kino war bis zu seiner Schließung im Zusammenhang mit der ersten Inifada 1987 eines der größten Lichtspielhäuser Palästinas. In seinem neuen Film „Cinema Jenin“ – einer Koproduktion mit dem SWR – schildert Marcus Vetter die Entwicklung des Kino-Projekts und seine schwierige Umsetzung bis zur Wiedereröffnung im Sommer 2010. Die Uraufführung Film fand Anfang April im „Cinema Jenin“ statt; die deutsche Premiere wird morgen in Tübingen gefeiert. Gleichzeitig startet „Cinema Jenin“ in den Kinos der gesamten Bundesrepublik.
Das einstige Kino von Jenin bot, als Marcus Vetter zum ersten Mal die Stadt besuchte, einen trostlosen Anblick. Vom Glanz des Kinopalastes im Zentrum der Stadt ist nicht viel übrig geblieben: Vandalismus, Wind und Wetter leisteten in den letzten 20 Jahren ganze Arbeit. Nur Tauben haben in der Ruine ein Domizil gefunden. Als die Initiative von Ismail Khatip und Marcus Vetter zur Rettung des „Cinema Jenin“ bekannt wird, ist als einer der Ersten der einstige Filmvorführer vor Ort und versucht an den Projektoren zu retten was noch zu retten ist. Der Tüftler bringt die alten Lichtbogen-Maschinen tatsächlich wieder in Gang.
Ein gutes Omen für die Sanierung des Filmtheaters. Die Pläne sehen in dem Gebäudekomplex auch ein Begegnungszentrum und ein Gästehaus vor. Vetters Spendenaufruf hat in der Bundesrepublik, aber auch international gewirkt. Das Berliner Auswärtige Amt will sich ebenso engagieren wie Bianca Jagger: Der Kreis der Unterstützer des „Jenin“- Projekts wird täglich größer.
Zwangsläufig erregt das ausländische Engagement in der Stadt Jenin selbst beträchtliches Aufsehen. Voraussehbar, aber dann doch überraschend die nur bedingte Kooperationsbereitschaft der Hausbesitzer, die sich bisher nicht um ihre Immobilie gekümmert haben.
Trotz weiterer, teils beträchtlicher finanzieller, organisatorischer und auch menschlicher Unwegsamkeiten kann das neue „Cinema Jenin“ im August 2010 eröffnet werden. Der Film begleitet das einzigartige Projekt aus der Perspektive eines „teilnehmenden Beobachters“ und das ist Marcus Vetter.
Mit dem Projekt „Cinema Jenin“ ging Vetter weit über die Grenzen des engagierten Filmemachers hinaus. Der Versuch eines persönlichen Brückenschlags zwischen Juden und Palästinensern dokumentiert einen schwierigen politischen und gesellschaftlichen Balance-Akt: An einen palästinensisch-jüdischen Dialog ist in Jenin bis heute nicht zu denken; viele Einheimische, aber auch das israelische Militär sehen das Projekt „Cinema Jenin“ nach wie vor mit Argus-Augen. Vor einem Jahr spitzte sich die Situation dramatisch zu, als der Schauspieler, Regisseur und Berater bei „Cinema Jenin“, Juliano Mer Khamis, ermordet wurde. Wer hinter dem Anschlag steckte, ist nach wie vor ungeklärt. Die freiwilligen ausländischen Helfer wurden daraufhin in ihre Heimatländer zurück beordert. Ihre Sicherheit konnte nicht mehr gewährleistet werden. Auch Marcus Vetter verließ Jenin. Das „Cinema Jenin“ wird seit dem von Einheimischen verwaltet…
Die Bedeutung von Marcus Vetters Dokumentarfilm liegt vor allem in der ungeschönten Beschreibung eines Projekts, mit dem die Initiatoren gelegentlich an die Grenzen des gesellschaftlichen und politisch Machbaren gingen und es dabei fast zum Scheitern brachten. Am Beispiel der im Grunde harmlosen Kino-Sanierung in Jenin werden die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen humanitären Engagements in einer Krisen-Region im Grundsatz deutlich. Das macht „Cinema Jenin“ zu einem eminent wichtigen Film, weil er eben kein Patentrezept, sondern ein Dilemma beschreibt!
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