Der amerikanische Wettbewerbsbeitrag „The Paperboy“ von Lee Daniels hat in Cannes bereits vor dem Start des Festivals für besonderes Interesse bei den Journalisten gesorgt. Nicht weil Daniels als Produzent („Monsters Ball“) und Regisseur („Precious“) einen Hang zu ausgefallenen Stoffen und Überraschungen hat, sondern weil Hauptdarstellerin Nicole Kidman durch ihre PR-Agentur ankündigen ließ, für Interviews künftig nur noch gegen Honorar zur Verfügung zu stehen – von 1500 Dollar für ein Einzel- und 800 für ein Gruppengespräch war die Rede. Damit würde eine neue Ära beginnen – inzwischen soll auch Brad Pitt signalisiert haben, in Zukunft auch abzukassieren; um so die künftige Haushaltskasse aufzu-bessern. Bei lumpigen 50 Millionen Dollar Honorar pro Rolle muss das schon sein, um nicht unter den Brücken nächtigen zu müssen…
Heute morgen fand dann die Pressevorführung von „The Paperboy“ statt. Riesenauftrieb bei der PK (siehe: www.festival-cannes.com). Wiederum nach literarischer Vorlage (Pete Dexter) watet Lee Daniels – im wahrsten Sinne des Wortes – knietief im „Whitetrash“ Mitte der 1960er Jahre.
In einem entlegenen Kaff in Florida lebt Familie Jansen mit verblichener großbürgerlicher Vergangenheit. Ward Jansen (Matthew McConaughey) ist ein nur bedingt erfolgreicher Reporter der „Miami Times“, sein jüngerer Bruder Jack hat es eher mit dem Sport und ist entsprechend durchtrainiert.
Da macht der Mord an einem Sheriff Schlagzeilen. Der angebliche Täter wurde schnell gefunden: Hillery van Wetter (John Cusack), ein psychisch auffälliger Außenseiter, der mit seiner armseligen Familie in den Sümpfen der Umgebung lebt.
Ward sieht die Chance seines journalistischen Lebens, als ihm eine Charlotte Bless (Nicole Kidman) brisante Details verspricht, die an Wetters Schuld zweifeln lassen. Um dem Fall ganz und gar authentisch nachgehen zu können, quartiert sich Ward daheim ein – im Schlepptau seinen farbigen Kollegen Yardley Achemann (David Oyelowo) und die heftig blondierte und auch sonst ziemliche schrille Miss Bless. Auch der kleine Bruder wird in die investigative Recherche eingebunden…
Bei „The Paperboy“ tun sich nicht nur rassistische Abgründe auf, sondern auch sonst herrschen schlimme Verhältnisse – die Hitze drückt auf die Seelen, im Meer lauern Quallen und im Sumpf Krokodile. Schwüle Ge-fühle eskalieren. Es stellt sich heraus, dass Ward schwul ist – mit sado-masochistischen Neigungen – was ihm schließlich ein Auge kostet und noch später das Leben. In diesem Film funktioniert mit großem Buschmesser das Kappen einer Kehle (siehe auch „Lawless“ vom Anfang dieser Woche).
Bruder Jack wird von Miss Bless vernascht, mit der es dann auch kein gutes Ende nimmt.
Seltsam unbeteiligt breitet Lee Daniels diesmal einen bunten Bilderteppich mit einigen Unappetitlichkeiten vor dem Zuschauer aus – erzählt wird das Ganze als Rückblende aus der Perspektive einer farbigen Zofe, die ein Herz für Jack hat.
„The Paperboy“ ist einer von den Filmen, die ein I-Gitt-Gefühl beim Zu-schauer hinterlassen. Manches – wie das Ausweiden eines Aligators – möchte man so genau eigentlich nicht sehen. Die Schauspieler schwitzen vor der Kamera nach Kräften, was ihre weitere professionelle Kreativität verständlicher Weise einschränkt. Zac Efron darf seine beneidenswerten Sixpacks zeigen – was allerdings auch nicht abenfüllend ist.
Die dankbarste Rolle hat John Cusack, ganz gegen sein gewohntes Image. Diesmal ist er nicht der gute Junge, sondern der geile Psycho, der schließlich Nicole Kidman alle macht. So wie sie endet, spielt die Darstellerin auch – ungelenk! Sie verkörpert eine ordinäre Dame, wie man sich das so vorstellt, angesichts der in diesem Film geschilderten Verhältnisse.
Frau Kidmans Leistung in diesem Film ist so unerheblich, das einem gar nicht genügend Fragen einfallen, die das stolze Honorar rechtfertigen würden. Abgesehen davon, dass es sich bei dieser Anmutung um eine Unverschämtheit handelt…
„The Paperboy“ kommt in Deutschland übrigens nicht ins Kino, sondern direkt ins Programm eines privaten Kravallsenders. Da ist er gut aufgehoben…