Hirokazu Kore-Eda aus Japan und Jia Zhang-Ke aus China, die zu den prominentesten Regisseuren ihrer Heimatländer gehören, präsentieren beim gegenwärtig stattfindenden Festival de Cannes ihre neuesten Filme: „Like Father, like Son“ und „A touch of sin“: so unterschiedlich die Gesellschaftssysteme von Japan und China sind, so nah scheinen sich die beiden Länder in ihrem Lebensgefühl zu sein. Zumindest erwecken die beiden Filme den Anschein.
Herr Nonomiya ist Manager eines Investmetkonzerns: tüchtig und auf Erfolg programmiert. Gattin Midori und der 6jährige Sohn Keita haben deshalb wenig von ihm. Immerhin fehlt es materiell an nichts. Da meldet sich eines Tages Keitas Geburtsklinik bei Familie Nonomaiya mit der alarmierenden Nachricht, dass der Sohn nach der Geburt im Kreissaal vertauscht wurde. Neue Recherchen haben das ergeben, was der Klinikleitung natürlich furchtbar peinlich ist. Man solle sich am besten mit der ebenfalls betroffenen Familie in Verbindung setzten und gemeinsam nach einer einvernehmlichen Lösung suchen.
Auf den ersten Blick hat Hirokazu Kore-eda mit „Like Father, like Son“ eine harmlose Verwechslungsgeschichte familientauglich inszeniert. Bei näherem Hinsehen handelt es sich dabei jedoch um einen ziemlich bösen Abgesang auf die traditionelle Familie.
Der Regisseur ist für seine herben Analysen gesellschaftlicher Untiefen (z. B. „Still Walking“) bekannt. Nicht nur, dass er hier den Aufsteiger einem kleinen Handwerker gegenüberstellt.
Wenig zu sagen angesichts des Dilemmas mit den vertauschten Babys haben die Großeltern: in der Vergangenheit auch im japanischen Film die letztlich entscheidende moralische Instanz. Bei Hirokazu Kore-eda haben sie sich längst in eine eigene, rückwärtsgewandte Welt verabschiedet.
Ob ihre Enkel am Ende die Eltern bekommen, die sie verdienen, lässt der Film „Like Father, like Sohn“ offen. Die beliebte Gleichung, wie der Vater, so der Sohn hat ihre Gültigkeit verloren – wenn sie sie denn je eine hatte…
In dem Film des Japaners gibt es wenigsten ein paar nette Menschen und ein kleines Bisschen Empathie. In „A touch of sin“ seines chinesischen Kollegen Jia Zhang-Ke sucht man danach vergebens. Die Familie als moralisch-gesellschaftliche Instanz existiert nicht mehr. In vier Episoden wird hier das moderne China als Hölle auf Erden be-schrieben:
Wer Kritik am Übermut der Ämter und der neureichen Willkürherrschaft übt, wird so lange schikaniert, bis er seine Flinte aus dem Kleiderschrank holt und blutig Rache übt. Eine rechtschaffene Geschäftsfrau greift zum Messer, um sich gegen männliche Gewalt zur Wehr zu setzten. Die junge Generation beiderlei Geschlechts wird systematisch in den Tod getrieben.
Soviel Wut und Depression in einem chinesischen Film wäre noch vor Kurzem undenkbar gewesen. Aber das passt ins Bild von „A touch of sin“. Filmemacher wie Jia Zhang-Ke lässt man inzwischen machen, in der Gewissheit, dass sie damit nichts ausrichten und das Geschäft kaum stören werden. Warum sich also internationalen Ärger mit Verboten einhandeln. Die chinesische Administration lernt schnell! Fazit nach einer halben Woche Cannes 2013: wir leben auf dünnem Eis!