Vor zwei Jahren machte der iranische Regisseur Asghar Farhadi mit „Nader & Simin – Eine Trennung“ bei den Berliner Filmfestspielen Furore und wurde mit dem „Goldenen Bären“ und kurz darauf mit dem „Oscar“ als bester ausländischer Film ausgezeichnet. Auch in den Kinos in Europa und Übersee machte der Film eine beachtliche Karriere. Zur Stunde wird im Programm des „Festival de Cannes“ Farhadis neuer, in Frankreich gedrehter Film „La Passé“ uraufgeführt. Den Journalisten wurde er bereits heute Morgen gezeigt.
Es gibt Filme, die fesseln bereits in der ersten Sekunde und lassen einen bis zum Abspann nicht mehr los. Asghar Farhadis „La Passé“ gehört dazu: Ahmad ist vor fünf Jahren in den Iran zurückgekehrt – ohne seine französische Frau Marie. Jetzt kommt er wieder. Nicht als Emigrant, sondern aus einem bürokratischen Grund. Die Scheidung zwischen Ahmad und Marie soll amtlich zum Abschluss gemacht werden. Dazu musste er eben anreisen.
Trotzdem reagiert Ahmad betroffen, dass Marie einen neuen Partner hat, der mit seinem kleinen Sohn bei ihr eingezogen ist. Der Mann heißt Samir und ist behördlich anerkannter Asylant, der sich mit einer Reinigung selbständig gemacht hat. Ahmads Auftauchen bringt ein fragiles Netz der Beziehung völlig durcheinander.
Dabei spielt Maries halbwüchsige Tochter eine nicht unerhebliche Rolle, die Ahmad als Ersatzvater schätzt. Sie lehnt Samir kategorisch ab, das Verhältnis zur Mutter ist angespannt. Der Grund: Samirs Frau liegt nach einem Selbstmordversuch im Koma. Angeblich kam sie hinter den Seitensprung ihres Mannes.
Die Vergangenheit, La Passé, ragt unerbittlich in die Gegenwart der Menschen bei Farhadis neuem Film. Alle haben ihre Wurzeln, ihre Heimat verloren: hängen emotional in den Seilen. Obwohl es in „La Passé“ mit keinem Wort explizit erwähnt wird, gibt der Regisseur damit eine Innenansicht der Emigration – im übertragenen wie im realen Sinn.
In dieser Präzision kennt man das bisher nur aus der Literatur. „La Passé“ ist großartiger Film, dessen Reichtum an Nuancen der Heimatlosigkeit in gleichem Maße fasziniert und erschreckt. Farhadi lässt wieder Raum, ohne jeden Moment erklären zu wollen. Er braucht auch keine Musik, um Atmosphäre zu schaffen. Dafür reichen ihm ganz schlichte Alltagsgeräusche.
Wie bereits bei „Nader und Simin“ überzeugt auch dieser Film durch seinen klaren filmischen Ausdruck und die selbst in hoch emotionalen Momenten präzise geführten Schauspieler. Nicht nur was die Erwachsenen-Darsteller Bérénice Bejo („The Artist“), Tahar Rahim („Prophet“) und Ali Mosaffa betrifft, auch die Kinder sind großartig!
„La Passé“ ist eine Sternstunde der Filmkunst, für die sich bereits für mich die Reise nach Cannes gelohnt hat!